Marathon-Ausstand bei der Bahn: "Sinnlose Streiks"
3.000 Lokführer haben den Bahnverkehr in Deutschland am Donnerstag fast lahmgelegt. Ein Ende des Arbeitskampfs ist nicht in Sicht.
Der größte Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn hat am Donnerstag zu massiven Einschränkungen im Regional-, Fern- und Güterverkehr geführt. Der Ausstand, zu dem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) aufgerufen hat, soll noch bis Samstagmorgen, 2 Uhr, andauern. Eine Lösung des Tarifkonflikts ist nicht in Sicht, die GDL drohte mit einem unbefristeten Ausstand ab nächste Woche. Sie fordert einen separaten Tarifvertrag und 31 Prozent mehr Lohn.
Auf den Streik reagierte die Bahn inzwischen mit einer Schadensersatzklage über fünf Millionen Euro. Ihrer Ansicht nach waren die bundesweiten Streiks im Nahverkehr Anfang Juni rechtswidrig. Die Tarifverträge seien zu der Zeit teilweise noch nicht gekündigt gewesen, deshalb habe die GDL die Friedenspflicht verletzt.
Vom Ausstand besonders betroffen war erneut Ostdeutschland, wo nach Bahnangaben 85 Prozent der Regionalzüge nicht fuhren. Bundesweit sind laut Bahn mehr als 40 Prozent der Güterzüge ausgefallen. Die Lage werde "immer kritischer", so die Bahn. Im Fernverkehr waren nach Bahnangaben etwa zwei Drittel der Züge unterwegs, "vor allem ICE-Züge, internationale Züge sowie Auto- und Nachtzüge". Am meisten seien IC-Züge ausgefallen.
Der Aufsichtsrat der Bahn stärkte am Donnerstag Bahnchef Hartmut Mehdorn demonstrativ den Rücken. Nach der Sondersitzung sagte der Chef der Bahngewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, dass der Bahnvorstand sich nicht einer besseren Bezahlung für Lokführer verweigere. Tarifauseindersetzungen dürften aber nicht dazu genutzt werden, organisationspolitische Vorteile zu erzielen. Der Chef der Bahnbeamtengewerkschaft GDBA, Klaus-Dieter Hommel, meinte, die Lokführer sollten die "sinnlosen Streiks aufgeben".
Ungewohnte Unterstützung erhielten die beiden Gewerkschaften gestern von der Union, die die Tarifeinheit offenbar stärker gesetzlich schützen will. Die Politik dürfe nicht hinnehmen, dass Spartengewerkschaften wie die Lokführer-Gewerkschaft GDL die Tarifeinheit und die Friedensfunktion von Flächentarifverträgen infrage stellten, erklärte der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Meister am Donnerstag. Die Union prüfe daher, ob eine gesetzliche Klarstellung der Tarifeinheit angezeigt sei.
In den Unternehmen war der Lokführerstreik schon deutlich zu spüren. So ließ Audi in seinem Werk in Brüssel zwei Schichten ausfallen und sagte zudem die Frühschicht am Freitag ab. Insgesamt konnten wegen ausbleibender Güterzüge aus dem Osten 650 Fahrzeuge nicht vom Band laufen. Auch der Hafenbetrieb in Norddeutschland litt unter den Auswirkungen ausfallender Güterzüge, am Nachmittag entspannte sich die Situation am Hamburger Hafen aber wieder.
Wirtschaftsforscher spielen indes die Streikfolgen herunter. Der Chef der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sagte, der Streik habe natürlich gewisse negative Effekte auf die Wirtschaft, ohne dass aber dem Aufschwung schon Gefahr drohe. Für eine Weltuntergangsstimmung gebe es keinen Grund. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln analysierte, die GDL habe nur auf den ersten Blick einen langen Atem. Nach einem zweiwöchigen Streik könnte ein Großteil der seit der Wiedervereinigung in die GDL-Streikkasse geflossenen Mittel aufgebraucht sein.
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