„Hier spricht Walter“ im Lichtmeß : Mann mit der Mundharmonika
Der alte Mann mit dem zerknautschten Gesicht ist nervös. Kein Wunder, er wird ja gerade gefilmt. Draußen zieht Hamburg vorbei, der alte Mann zieht seinen Scheitel nach, der sich in der Fensterscheibe spiegelt. „Jetzt muss ich mal ein bisschen Geld verdienen gehen“, sagt er, als er aus der S-Bahn aussteigt. Dann sieht man, wie er in der Tasche kramt und eine Mundharmonika hervorholt.
Andreas Grützners Dokumentarfilm Hier spricht Walter ist einer der seltenen Fälle von geglückter Nähe. Im Grunde tut die Kamera nichts weiter, als Walter bei seinen Gängen zu begleiten. Sie zeigt, wie er an Haustüren klingelt, wo er Leute kennt, die ihm dann Geld geben für sein Mundharmonikaspiel. Manchmal trifft er auch jemand auf der Straße, dann erzählt er ein bisschen aus seinem Leben. Von der Mutter, die ihn lieber tot sehen wollte, vom Waisenhaus und vom Krieg, wo er verschüttet wurde. Seitdem, sagt Walter, ist er nicht mehr so klar im Kopf.
Möglich wurde der Film nur dadurch, dass sein Macher Andreas Grützner Walter seit Jahren aus den Alsterdorfer Anstalten kennt, Hamburgs größter Behinderteneinrichtung. Das Vertrauen, das Walter zum Filmemacher hat, führt dazu, dass er die Kamera in sein Leben einlädt. Dass sie zusehen darf, wenn er seine Freunde trifft, gegen die Walter oft ganz normal wirkt, oft sogar ein bisschen überlegen.
Eigentlich ist er sogar ziemlich schlau, auch wenn seine liebste Beschäftigung darin besteht, mit selbst gebauten Modellflugzeugen zu fliegen, wobei er das Motorengeräusch mit seinem Mund macht. Sein größter Traum, einmal selbst zu fliegen, wird ihm im Laufe des Films erfüllt. Er kommt dabei sogar zum ersten Mal richtig in die Berge und ist so überwältigt, dass er anfängt zu beten.
Der Film zeigt das ohne Kommentar, vielleicht wirkt es deswegen überhaupt nicht peinlich. Für einen Dokumentarfilm ist Hier spricht Walter ein seltener Glücksfall. wie
Donnerstag, 20 Uhr, Lichtmeß