Manipulation bei Organvergabe: Münchner Herzensstreit
Das Klinikum der Universität München verwahrt sich gegen Vorwürfe bei der Vergabe von Spenderherzen gezielt manipuliert zu haben.
Jetzt glauben die Prüfer, am Klinikum der Universität München (LMU) fündig geworden zu sein: In 17 Fällen zwischen 2010 und 2012 sollen Ärzte dort bei Herztransplantationen gezielt Medikamententherapien manipuliert haben mit dem Ziel, ihren Patienten auf diese Weise schneller ein Spenderherz zu verschaffen, als ihnen zugestanden hätte. Insgesamt waren in dem Zeitraum in München 101 Herzen transplantiert worden.
„Die Kommission hat den Bericht verabschiedet, jetzt haben die Münchner Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen“, sagte der Vize-Vorsitzende der Prüfungskommission, Hans Lippert, der taz. Weitere Details zu den Vorwürfen wollte er mit Rücksicht auf das laufende Verfahren nicht nennen.
Der Ärztliche Direktor des Klinikums, Karl-Walter Jauch, sagte im Gespräch mit der taz, er widerspreche „nachdrücklich dieser Darstellung der Prüfungs- und Überwachungskommission bei der Bundesärztekammer“. Seine Kollegen hätten sich an geltendes Recht gehalten und insbesondere bei der Therapie herzkranker Patienten den Stand der Wissenschaft berücksichtigt.
Die Tatsache, „dass nun möglicherweise staatsanwaltschaftliche Ermittlungen drohen, treffen mich in meinem Selbstverständnis als Arzt, der sich seit Jahrzehnten mit Transplantationen beschäftigt“, sagte Jauch. „Wir sind jedoch sicher, dass wir alles entkräften können.“ Der Münchner Strafrechtsprofessor und Transplantationsexperte Ulrich Schroth sagte der taz, sollte es hart auf hart kommen, „dann werde ich die Klinik vertreten“.
Unzulässige Dosierung
Der Vorwurf der Prüfer lautet, vereinfacht gesagt, dass die Ärzte ihren schwer kranken Patienten jeweils kurz vor der routinemäßigen Überprüfung ihres Status auf der Warteliste Notfallmedikamente verabreichten in einer – nach Ansicht der Prüfer – unzulässigen Dosierung. Diese Dosierung habe dazu geführt, dass die Patienten als hochdringlich eingestuft wurden und sich ihre Aussicht auf ein Spenderherz verbesserte.
Dabei ist die Notwendigkeit der Gabe der so genannten Katecholamine und Phosphodiesterase-Hemmer an sich unstrittig zwischen Prüfern und Klinikum. Der Streit dreht sich vielmehr im Kern um die Frage, ob die Medikamente während eines bestimmten 48-Stunden-Zeitraums kontinuierlich in einer bestimmten Höchstdosis hätten gegeben werden müssen (was die Prüfer behaupten) – oder ob es richtlinienkonform war, die Höchstdosis in dem besagten 48-Stunden-Zeitraum zwar zu erreichen, aber eben nur punktuell statt permanent (was das Klinikum behauptet).
Zum Verständnis: Katecholamine sind Herz-Kreislauf unterstützende Medikamente, die intensivmedizinisch betreuten Patienten in lebensbedrohlicher Situation zur Stabilisierung gegeben werden. Und die – neben einer Vielzahl anderer Faktoren – über die Dringlichkeit einer Operation mit entscheiden. Spenderherzen werden in Deutschland vor allem nach dem Kriterium der Wartezeit vergeben.
Verwirrung um Richtlinien
Pikant daran: Die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Vergabe von Spenderherzen legt selbst gar keine Grenzwerte fest, ab welcher Katecholamin-Dosierung der Status eines Patienten als hochdringlich gelten soll. Sie macht auch keine Angaben darüber, ob die Katecholamine permanent oder in Intervallen gegeben werden sollen. Hierzu äußert sich lediglich ein so genanntes „Manual“ der Organvergabestelle Eurotransplant, das keinerlei normativen Charakter besitzt. Die Prüfer wiederum hatten den Auftrag, die Transplantationszentren ausschließlich auf Einhaltung der Richtlinien der Bundesärztekammer zu kontrollieren.
Die Ärzte in München hätten sich jedoch nicht nur innerhalb der Vorgaben der Bundesärztekammer-Richtlinie bewegt, sondern auch in der Sache richtig entschieden, sagte der Strafrechtler Ulrich Schroth der taz: „Die Interpretation der Münchner Ärzte entspricht dem Text im Manual.“
Der Ärztliche Direktor, Karl-Walter Jauch, bekräftigte, medizinisch sei es richtig, die Medikamente intermittierend zu verabreichen: „Bei permanenter Gabe schaden Sie dem Patienten mehr, als dass Sie ihm helfen.“ Zur Untermauerung seiner Position hat Jauch gleich drei medizinische Gutachten eingeholt – von Kardiologen des Universitätsklinikums des Saarlands sowie des Klinikums Augsburg und von Herzchirurgen der Medizinischen Universität Wien. Sie alle kommen zu dem Schluss, dass Therapie und Dosierung der Münchner Ärzte korrekt waren.
Ähnliche Vorwürfe – ebenfalls im Zusammenhang mit der Gabe von Katecholaminen – hatten die Prüfer der Bundesärztekammer übrigens im Sommer 2014 bereits gegen das Deutsche Herzzentrum Berlin erhoben. Das Herzzentrum hatte sich daraufhin selbst angezeigt, um die Beschuldigungen untersuchen zu lassen; ein Ergebnis steht noch aus.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Vorwürfe der Prüfer bei der Bundesärztekammer sich im nachhinein als haltlos erweisen. Zuletzt hatte im Juli 2014 die Staatsanwaltschaft Münster in einem ähnlichen Fall – es ging um Manipulationsvorwürfe gegen die dortige Uniklinik bei der Vergabe von Spenderlebern – die Ermittlungen mit der Begründung eingestellt, die Richtlinien seien „nicht eindeutig“.
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