Manfred Weber gewinnt EVP-Wahl: Mit Sister Sledge in den Wahlkampf
Europas Konservative haben Manfred Weber (CSU) zum Spitzenkandidaten gewählt. Das heißt nicht, dass er auch EU-Kommissionschef wird.

Die Wahl war keine Überraschung. Schließlich standen EVP-Parteichef Joseph Daul und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hinter dem 46-jährigen CSU-Mann aus Niederbayern. Weber hatte den gesamten Parteiapparat und die mächtigste Politikerin Europas hinter sich. Auch Österreichs konservativer Kanzler Sebastian Kurz und Ungarns autoritärer Regierungschef Viktor Orbán unterstützen ihn.
Dabei sah es bis zuletzt so aus, als könne Orbán für Weber zum politischen Stolperstein werden. Alle anderen demokratischen Parteien im Europaparlament, aber auch sein innerparteilicher Herausforderer Stubb forderten den Kandidaten auf, sich klarer von Orbán zu distanzieren und dessen Fidesz-Partei aus der EVP zu werfen. Weber wehrte die Angriffe jedoch mit einem taktischen Manöver ab.
Am Mittwoch verabschiedete die EVP eine Resolution, in der sie alle Mitgliedsparteien auffordert, sich für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus einzusetzen. Ungarn wurde darin jedoch nicht genannt. Weber hat sich auch nicht auf einen Ausschluss der Fidesz-Partei festgelegt. Er will das leidige Thema hinter sich lassen und nach vorn blicken.
Momentum nutzen
„Wir sind Brückenbauer, wir müssen dieses Momentum nutzen, dann werden wir im Mai 2019 gewinnen“, erklärte er in Helsinki. Ob es zum Wohlfühl-Wahlkampf à la Sister Sledge kommt, bleibt abzuwarten. In seiner Bewerbungsrede sprach sich Weber für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus, verteidigte das „christliche Erbe“ Europas und versprach mehr Bürgernähe.
Den Streit zwischen Nationalisten und EU-Gegnern und Anhängern eines liberalen Europa hingegen klammerte Weber aus. Dabei wollen die meisten anderen Parteien dies zum Hauptthema des Europawahlkampfes machen. Bis zur heißen Phase dürften allerdings noch einige Wochen vergehen.
Die Sozialdemokraten treten mit dem niederländischen EU-Kommissar Frans Timmermans an, die offizielle Nominierung soll erst auf einem Parteikongress im Dezember folgen. Die Grünen wollen Ende November gleich zwei Kandidaten aufstellen. Demgegenüber dürften die Liberalen und Linken ganz auf Spitzenkandidaten verzichten.
Liberalen-Chef Guy Verhofstadt hat der EVP vorgeworfen, das gesamte Verfahren ad absurdum zu führen, weil es keine europaweiten Wahllisten geben wird. Tatsächlich kann Weber nur in seinem Wahlkreis in Bayern gewählt werden. Auch der Wahlkampf wird weitgehend national organisiert – sieht man von einigen Fernsehduellen ab.
Zünglein an der Waage
Aus der Linken kommt der Vorwurf, dass der Spitzenkandidaten-Prozeß nur der EVP zugute komme, weil sie auch 2019 wieder die größte Fraktion stellen dürfte. Allerdings deutet sich diesmal eine wichtige Änderung an: Die größte Fraktion dürfte nicht mehr automatisch den Kommissionspräsidenten stellen. Weber muss sich erst um eine Mehrheit im EU-Parlament bemühen, wenn er Noch-Kommissionschef Jean-Claude Juncker beerben will.
Das könnte schwierig werden. Denn nach den ersten Prognosen wird das bisher übliche Bündnis aus EVP und Sozialdemokraten nicht mehr für eine Mehrheit ausreichen. Die Liberalen, aber auch die Grünen oder andere, neue Formationen könnten zum Zünglein an der Waage werden. Dies will sich Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zunutze machen, der sich bereits gegen Weber ausgesprochen hat.
Macron prüft derzeit, ob er mit einer eigenen Formation in die Europawahl geht – oder mit den Liberalen marschiert. Verhofstadt hat sich bereits für ein Bündnis ausgesprochen. Auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte hat Interesse signalisiert. Gemeinsam könnten sie die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager ins Rennen um die Juncker-Nachfolge schicken.
Das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs, die den neuen Kommissionspräsidenten bestätigen müssen. Es gebe „keinen Automatismus“, dass der Kandidat des Europaparlaments nominiert werde, hat auch Kanzlerin Merkel klargestellt. Auf Weber kommen also noch viele Hürden zu. Am Ende könnte er doch noch scheitern – oder mit einem anderen Amt abgespeist werden.
Bei der letzten Europawahl 2014 ist dies dem „Erfinder“ der Spitzenkandidaten, Martin Schulz (SPD) passiert. Er musste sich mit dem Amt der EU-Parlamentspräsidenten begnügen.
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