: Mal ehrlich: Was ist eigentlich der Herr Engholm für einer?
■ Eine verbreitete Frage, die seit Jahren allzugern mit Wunschvorstellungen statt mit Beobachtungen aus dem wirklichen Leben beantwortet wird
beantwortet wird
Wer ein höchst seltenes astronomisches Schauspiel erleben will, sollte in diesen Tagen nach Kiel blicken: Dort sinkt kein Stern, dort rauscht einer vom Himmel politischer Hoffnungen. Es ist der des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, SPD-Vorsitzenden und -Kanzlerkandidaten Björn Engholm.
Und wieder einmal stellt sich aus gegebenem Anlaß die Frage: „Was ist eigentlich der Herr Engholm für einer?“ Und diesmal scheint sogar ein Interesse an klaren Antworten zu bestehen — nicht an Wunschvorstellungen. Klare, aber nicht gern gehörte Antworten gab schon während der großen Kieler Affäre der Satiriker Eckard Henscheid.
Im November 1987 grübelte Henscheid: „Was ist jetzt das für einer? Ein Schön-, ja Blindlaberer?“ Mehr, viel mehr, antwortete der Engholm-Kritiker sich selbst. Der sozialdemokratische Hoffnungsträger sei ein begnadeter Sprechblasenproduzent, der unentwegt „dummdeutsche Gratis-Imponiervokabeln auffährt“.
Das aber durchaus mit Schißlaweng: „Ein Pastor also, der den Jargon der Eigentlichkeit besonders virtuos draufhat? Neinnein, im gleichen steifen Atemzug vermag unser Mann eben auch seinen Adorno zu zitieren, sogar auswendig.“ Auch andere Geistesgrößen zitiert er gern. Und meistens nicht ganz korrekt, wie Henscheid vergaß zu bemerken.
Doch das konnte er 1987 noch nicht wissen. Zum öffentlich-flächendeckenden Zitieren kam der Flachland-Charismatiker schließlich erst in den Folgejahren. Und auch dann dauerte es noch einige Zeit, bis Politikjournalisten einen neuen Zeitvertreib entdeckten. Sie zählten Engholms Zitier- und Stilfehler. Es entstanden lange Listen.
Die blieben in der Kieler Staatskanzlei nicht unregistriert. Denn Derartiges schmerzt einen wie den schleswig-holsteinischen Spitzensozi (und seine gloriosen Redenschreiber sicher auch). Einen, der so gern die Rolle des beredten Intellektuellen spielt — und doch immer wieder im Rollentext steckenbleibt. Auf dem Theater hätte das Folgen, den Wechsel in eine Nebenrolle mit weniger Text. Die Regisseure der Bundes-SPD handelten jedoch nach dem Muster paradoxer Intervention, sie gaben ihm die Rolle des Spitzenstars.
Das mag sogar „einstückweit“ (Originalton Engholm und Zehntausender Sozialpädagogen und Journalisten) klug gewesen sein. Deutschlands Wähler sehen sich im Fernsehen schließlich auch keine wirklich niveauvollen Stücke an, sondern lieber SAT-Schinken, in denen manche nur so tun, als seien sie klug und stark.
Selbst Günther Grass ist für etliche Jahre auf die Inszenierung hereingefallen und hat die SPD erst verlassen, als Engholm begann, sich mit konkreten Vorschlägen in die Bundespolitik einzumischen.
Doch weshalb spricht und denkt einer so wie Engholm — so bemüht gesetzt und doch immer knapp daneben? Warum zuckt ein Spitzenpolitiker dieses Kalibers bei jeder sich nähernden Fernsehkamera sichtlich zusammen, um danach das Gesicht unter Zuhilfenahme einer Pfeife djangomäßig zu verziehen? Wieso überzieht einer in belanglosen Pressekonferenzen seine Gestik derart ins Revolutionäre? Weshalb grinst ein Mensch, wo Ernsthaftigkeit angemessen wäre? Warum blickt er bärbeißig drein, wo jeder Anlaß zur Lockerheit bestünde? Einmal, kein wirkliches Problem lag in der Luft, zerbiß sich Engholm während eines SPD-Landesparteitages einen Zahn (oder war's eine Krone?) an seiner Pfeife. Weshalb so verkrampft?
Die Antwort ist unbefriedigend dürftig: Der Mann ist zutiefst verunsichert und mißtrauisch. Seine Kopf- und Körperhaltung verrät noch mehr: Dieser Mann hat Angst! Und das seit Jahrzehnten. — Genug! Psycho-Ferndiagnosen gehören nicht auf Zeitungspapier. Aber Fragen: Kann dieser Mann Kanzler werden, wenn er schon in der Kieler Staatskanzlei stetig kämpfen muß, um nicht aus dem Stück zu fallen?
In dieser Republik gibt es sensible Leute, die regelmäßig die „Tagesschau“ abstellten, wenn Helmut Kohl begann zu schwadronieren. Inzwischen ist Kohl besser geworden, und außerdem mußte man sich an den Oggersheimer gewöhnen. Genosse Trend ist wieder einmal umgekippt. Derzeit vergrößert sich die Zahl der Engholm-Abschalter. Allzuviele mögen sich die langatmig-verquasten Nullmeldungen aus dem verqualmten Mund des SPD-Vorsitzenden nicht mehr antun. Nur er selbst kann es immer noch nicht lassen und schreckt nicht einmal vor Bemerkungen zurück, wie sie die Deutsche Presseagentur zu Beginn der Woche glaubhaft vermeldete: Menschlich sei sein Sozialminister Jansen einer der „koschersten und angenehmsten Personen, die ich kenne.“
Ja, ja — so ist er, der Björn Engholm. Kennt sich voll aus. Mit „guten Menschen“ und auch der jiddischen Sprache. Und besonders mit Steigerungen. Der Berufssympath aus Kiel steigert selbst dort, wo längst keine Steigerung mehr möglich ist.
Jansen ist Jansen und koscher ist koscher. Aber was ist der Herr Engholm eigentlich für einer? Jürgen Oetting
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