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Major hört die Stimmen der Sirenen

■ Großbritanniens konservative Regierung bereitet sich mit einem „kleinen Parteitag“ auf eine Wahlniederlage vor

Dublin (taz) — Die Langlebigkeit der Tory-Regierung sei schuld, daß Labour die besseren Wahlchancen habe. Das sagte der britische Premierminister John Major am Wochenende auf der Tagung des Zentalrats der Konservativen Partei in Bath, eine Art „kleiner Parteitag“. Zwar hat er noch keinen Termin genannt, doch es gilt als sicher, daß das Volk am 1.Mai an die Urnen gerufen wird. Diesmal gehe es gegen einen weit stärkeren Gegner, als die Labour Party, sagte Major: das Argument, es sei Zeit für einen Wechsel. „Wenn ihr die Stimmen der Sirenen wimmern hört, es werde Zeit für Veränderungen“, sagte Major, „dann schaut ihnen fest in die Augen und hinterfragt diesen Unsinn: was für Veränderungen?“

In Wirklichkeit denkt man in seiner eigenen Partei jedoch bereits laut über Veränderungen nach. Die ehemalige Ministerin Edwina Currie vom proeuropäischen Tory-Flügel sagte am Freitag, Major solle im Falle einer Niederlage so schnell wie möglich verschwinden. „Bitte, bitte, John — laß uns nicht warten“, sagte sie. Rechtsaußen John Biffen, der früher ebenfalls mal Minister war, glaubt, daß die Niederlage so vernichtend sein könnte, daß sämtliche Kandidaten für die Major- Nachfolge ihre Sitze verlieren. Dann müsse man es mit Major aushalten, bis einer der Kandidaten per Nachwahl doch noch einen Unterhaussitz ergattert. In Anbetracht der Schwarzmalerei raufte sich der Tory-Vorsitzende Brian Mawhinney die Haare. „Wenn ihr nichts zu sagen habt, das uns zum Wahlsieg verhilft, dann sagt lieber gar nichts.“

Selbst die konservativen Lords glauben nicht mehr an Major. Es sickerte durch, daß der Vicomte Cranborne eine „Kriegskasse“ von umgerechnet einer halben Million Mark angelegt hat, um gegen die Labour-Pläne vorzugehen, den erblichen Lord-Titel abzuschaffen. Major macht der Queen am Dienstag seine wöchentliche Aufwartung. Dabei wird er formal um die Erlaubnis bitten, das Parlament am 27. März aufzulösen. Danach beginne der Wahlkampf ungebremst, sagte Major. Freilich geht es auch jetzt schon um Stimmenfang. So wird Major heute abend den erneuten Rückgang der Kriminalität verkünden, Mittwoch kann er zum zwölften Mal hintereinander einen monatlichen Fall der Arbeitslosenzahlen vermelden.

Der millionenschwere Geschäftsmann Paul Sykes hat den Tories 500.000 Pfund angeboten, wenn sie im Wahlkampf gegen den Euro zu Felde ziehen. Major lehnte ab. Doch John Redwood und Norman Lamont, ehemalige Minister in Majors Kabinett und heute seine Erzfeinde, wollen die Spende annehmen. Robin Cook von Labour sagte, man könne die Tory-Kandidaten offenbar bestechen, damit sie sich gegen ihren Chef stellen. Ralf Sotscheck

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