Mahnmal für Bremer Folter-Opfer: Ein ungemütliches Kunstwerk
Bremen will 18 Jahre nach dem Tod von Laye-Alama Condé an die Opfer polizeilicher Brechmittel-Einsätze erinnern. Das Mahnmal gestaltet Usha Seejarim.
Das Werk soll aus riesigen Stahlbuchstaben bestehen, die teils im Boden zu versinken scheinen und das Wort „FORCE“ bilden. Das Votum war einstimmig. Daraufhin hat der Ortsbeirat Bremen Mitte, also das Stadtteilparlament, am Dienstagabend seine Standortentscheidung bekräftigt: Gegen die zwei Stimmen der CDU beschloss er, das Denkmal direkt am Gerhard-Marcks-Haus zu errichten, in unmittelbarer Nähe zu Wall-Anlagen, Kunsthalle und Stadttheater: zentraler geht kaum.
Im Sommer hatte eine Fachjury Seejarim und fünf weitere Künstler*innen aufgefordert, ihre Konzepte zu präzisieren, die sie bei einem Wettbewerb zum Thema eingereicht hatten, um ihr Interesse zu bekunden. Der Background der jetzigen Jury war wichtig, weil es sich nicht allein um ein Denkmal für eine Person handelt, sondern an eine rassistische Praxis erinnert.
So wie die Hamburger hatte auch die Bremer Polizei die Tortur der Brechmittelvergabe ausschließlich bei People of Color angewendet. Dieses schmerzhafte, gefährliche und entwürdigende Verfahren war 1991 unter Justizsenator Henning Scherf (SPD) zur Beweismittelsicherung eingeführt worden. Es zielte auf Straßen-Dealer. Erst 2017 fand er dafür Worte des Bedauerns.
Im Gewahrsam ertrunken
Erstmals hatte dieses Verfahren in Hamburg den Tod eines Menschen verursacht: Achidi John starb im Dezember 2001 an den Folgen der Brechmittelfolter in Verbindung mit einem Herzfehler und Kokainkonsum. In Bremen wurde die Praxis 2005 in unmittelbarer Reaktion auf den Tod von Laye Alama Condé im Polizeigewahrsam gestoppt. Er starb an Sauerstoffmangel, ertrunken am ihm mit dem Brechmittel per Schlauch eingetrichterten Wasser.
Er wurde nur 35 Jahre alt.
Gänzlich eingestellt wurde die Praxis erst, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2006 klargemacht hatte, dass es sich von Anfang an und in jedem Fall um Folter gehandelt hatte. Folter ist laut Menschenrechtskonvention verboten.
Usha Seejarim, 1974 in der kleinen Stadt Bethal in der Provinz Mpumalanga geboren, gehört in Südafrika zu den bekanntesten Künstler*innen der Gegenwart. Weltweit wahrgenommen wurde eines ihrer Werke vor zehn Jahren – jedoch meist ohne Namensnennung: Sie hatte für die Trauerfeier von Nelson Mandela das überlebensgroße Porträt des Freiheitskämpfers mit Techniken traditioneller Perlenkunst als Mosaik aus Samenkörnern geschaffen.
Als erste afrikanische Künstlerin überhaupt war Seejarim 2022 beim „Burning Man“-Skulpturenfestival in Nevada zu Gast. Ihre erste Einzelausstellung in Europa hatte sie 2020 im Kunstinstituut Melly, Rotterdam, einem der wichtigen Häuser für Gegenwartskunst. Einen prestigeträchtigen Auftrag hat sie von der belgischen Stadt Gent: Dort gestaltet sie ein Mandela-Denkmal.
Die Mahnmal-Entscheidung ist bemerkenswert angesichts der steten Weigerung Hamburgs, dieses Unrecht aufzuarbeiten. Sie ist Ergebnis eines zivilgesellschaftlichen Engagements. Das hatte fast unmittelbar nach Condés Tod 2005 seinen Anfang genommen und auch die juristische Aufklärung vorangetrieben.
Gundula Oerter, Gedenk-Ini
Bremen brauche einen solchen Ort auch als Gegenbewegung zum gegenwärtigen Rechtsruck, stellte Gundula Oerter von der Gedenkinitiative klar. Der mache es umso wichtiger, „menschenrechtsfeindliche Angriffe heute und in der Zukunft anzuklagen“. Zugleich wies sie darauf hin, dass Bremen weder symbolisch noch materiell für „Entschädigung der schätzungsweise Hunderten von Betroffenen der Brechmittelvergabe“ gesorgt habe.
Seejarim konzipiert das Mahnmal nicht als Stille gebietendes Monument. Ähnlich wie ihr Denkmal in Gent soll es ein begehbarer Ort werden, der zum Umgang auffordert und sogar ein wenig Aufenthaltsqualität hat.
Teils liegend, teils stehend, machen die Stahlbuchstaben die vielfältigen Facetten des englischen Worts „FORCE“ plastisch, das Stärke, auch Macht und beispielsweise jene staatliche Gewalt bezeichnen kann, in deren Schutz man sich doch eigentlich begeben können möchte. Als Verb gelesen bedeutet es „zwingen“. Das C, aufrecht und rund zwei Meter hoch, lädt zum Sitzen ein. In ihm finden gut zwei Personen Platz.
Wohlfühlen sollen sie sich indes nicht, das ist ein klarer Unterschied zum Mandela-Denkmal, das auch ein bisschen ein Kinderspielplatz sein wird. „Ich möchte, dass die metallische Oberfläche im Winter kalt und im Sommer heiß ist“, so die Künstlerin.
Während sie sonst oft neodadaistisch die Form von Haushaltsgegenständen wie Bügeleisen nutzt, beschränkt sie sich hier darauf, auf die Form und das Material eines herkömmlichen Behandlungsstuhls zart anzuspielen: Einer Liege, an die gefesselt Condé sein Martyrium erlitt. Und viele andere noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei