: Magnet mit Spänen
Hamburg-Prager Künstlerdialog: „Inschallation“ auf der Moorweide am Dammtor ■ Von Petra Schellen
Stimmt es eigentlich, dass manche Orte besondere Strahlkraft haben? Dass sie immer wieder Schauplatz aufrüttelnder Ereignisse sind, dass sie historisch Bedeutsames magisch anzuziehen scheinen, ohne dass man erklären könnte, warum das so ist? Und dass noch so bemühte Denkmale solchen Orten nicht Lebendigkeit, sondern eher Versteinerung bescheren, die auf Dauer eher Abstumpfung als Sensibilisierung erzeugt?
Doch wie stoppt man die Versteinerung, die auch Denkmale – Materie gewordener Ausdruck einer jeweils zeitgemäßen Gedenkvariante – oft schon Sekunden nach ihrer Einweihung befällt? Vielleicht nur durch Entmaterialisierung des Gedenkens, vielleicht durch Zelebrieren der Vergänglichkeit, wie sie nicht nur Hannah Hurtzig im vorigen September in ihrer Filialefür Erinnerung auf Zeit in den Kammerspielen praktizierte, sondern wie sie auch Michael Batz und Gerd Stange mit ihrem Installations- bzw. „Inschallations“-Projekt Present Sounds: Hamburg – Prag initiieren wollen: Ein Gitter aus Telegrafenmasten und 70er-Jahre-Lautsprechern soll auf der Hamburger Moorweide/„Meckerwiese“ am Dammtor entstehen, von wo aus Schall der besonderen Art in die Umgebung träufeln soll. Interviews mit Prager Politkünstlern wollen Batz und Stange – unterstützt vom Museumsdienst der Kunsthalle, dem Museum für Kommunikation und dem Museum für Hamburgische Geschichte – über Lautsprecher erklingen lassen. Ungeordneter Klang wird zunächst dort wabern; wer gezielt lauschen will, kann sich in den nahen Container bemühen.
Politkünstler wie der Tscheche David Cerny, der – 200 Meter vom Prager Wenzelsplatz entfernt – ein Anti-Denkmal zur Wenzelsheldenfigur schuf, werden Gesprächspartner sein; diskutiert werden sollen etwa historische Mythen: Was bedeutet der Wenzelsmythos für die Identifikation des heutigen Tschechien; wie gehen die Deutschen derzeit mit den 70ern um? Ist diese Mythenbildung ein Naturgesetz oder kann sie umgepolt werden, etwa durch die Schaffung eines „offenen Ortes der Kommunikation“, wo – im Container – Live-Videokonferenz und Internetkontakt mit tschechischen Künstlern möglich sein werden?
Eine Woche im Mai – und das fünf Jahre hintereinander – soll die Beschallung stattfinden; wieviele Künstler dem Aufruf folgen, den die beiden Hamburger Künstler über das tschechische Generalkonsulat lanciert haben, weiß derzeit noch niemand. „Unsere eigene Arbeit überprüfen, vielleicht auch Nutzen und Bedeutung von Gegendenkmalen hinterfragen“ soll, so Batz, die Installation an der Moorweide, die schon in der Weimarer Republik Demonstrationsort war, von den Nazis als Aufmarschort genutzt wurde und während des Zweiten Weltkriegs als Beschallungsort bei Fliegeralarm diente.
Die Studentenbewegung entdeckte die Moorweide als Demonstrationsort; die 70er Jahre waren dann „Meckerwiesen“- und „Speaker's Corner“-Zeit. Bis heute ist das Terrain Ausgangsort für Demonstrationen und so etwas wie eine ewig schwärende Wunde, über die nur äußerlich Gras gewachsen ist, kurz: ein Ort, an dem sich Geschichte kristallisiert.
Doch wie abgeschlossen ist letztlich Vergangenheit, wenn Zeitzeugen das Geschehene jederzeit mündlich rekapitulieren können; wer könnte die Frage nach „bedeutsamen“ und „weniger wichtigen“ historischen Phasen erschöpfend beantworten, wo doch jede Ära für sich in Anspruch nimmt, Geschichtsepochen neu zu ordnen wie Kontinente, die im Lauf der Erdgeschichte auf- und abtauchen, um immer wieder neue, niemals endgültige Formationen zu schaffen? „Wir wollen mit der Installation natürlich auch unsere eigenen Wahrnehmungsmuster überprüfen“, sagt Batz, „ein kommunizierendes Denkmal erschaffen, mit einfachsten Mitteln und auf der grünen Wiese.“
Doch so harmlos, wie es sich tarnt, ist das Projekt bei weitem nicht: Subtil greift der Schall – materiell und inhaltlich – den Raum an, in den Raum ein, wird zur Erinnerungsskulptur, die sich in Gehirne einfräst und neue Reflexionsebenen schafft: nicht durchs Festkrallen an der Vergangenheit, nicht durch Sich-Suhlen in Trauer oder Sentimento. Sondern durch das Erschaffen nicht nur Hamburg-interner neuer Gedankenverstrebungen oder Synapsenverbindungen, sondern auch europaweiter – weil mit Prag jetzt auch Osteuropa mit angebunden ist.
Zwar ist Prag „bloß“ Hamburgs Partnerstadt und vielleicht halb-zufälliges Beispiel. Aber das ist nicht entscheidend: Wesentlich ist, was aus dem zufällig Verknüpften entsteht, welcher Dialog über Parallal-Erfahrungen dadurch wachsen kann, dass man scheinbar Disparates verbindet und so, wie sich Eisenspäne um einen Magneten herum sortieren, neue Erfahrungs- und Erinnerungsmuster für die Zukunft bildet.
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