: Männerschreck, gereinigt
■ Das Atrium-Ensemble spielt Strindbergs »Fräulein Julie« im Saalbau Neukölln
Eigentlich sollte alles ganz empirisch sein, sozusagen eine wissenschaftliche Abhandlung über das Scheitern einer Frau, eines »Halbweibs« genauer, in Form eines Theaterstücks. Ein Halbweib, das war für August Strindberg, den schwedischen Dichter, Sozialisten und pathologischen Frauenverächter eine Frau, »... die sich vordrängt, sich jetzt für Macht, Orden, Auszeichnungen und Diplome wie früher für Geld verkauft und auf Entartung hindeutet«. Eine solche Frau ist Fräulein Julie, die Heldin des gleichnamigen Trauerspiels von 1888. Julie, von ihrer inzwischen verstorbenen Mutter erzogen im Geist der Gleichberechtigung von Frau und Mann, »... auf dem Hof mußten die Männer Frauenarbeiten machen und die Frauen Männerarbeiten — mit dem Ergebnis, daß das Gut drauf und dran war zu verkommen...«, rebelliert gegen das patriarchalische Regiment ihres Vaters, des Grafen. Sie haßt sich selbst und sie haßt Männer. Auf dem Fest in der Mittsommernacht — der Graf ist verreist — beginnt die entfesselte Julie ein erotisches masochistisches Machtspiel: Sie bietet sich dem Diener Jean auf dem Küchenfußboden dar.
Ein schwieriges Unternehmen für die drei jungen SchauspielschülerInnen Anke Möller (Fräulein Julie), Angelika Sauter (Kristin) und Kilian Wahl (Jean). Der Saalbau Neukölln stellt zwar Bühne und Technik zur Verfügung. Der Rest mußte von den dreien selbst finanziert werden. Wo andere Theater Zeit und Geist mit Kostümen, Requisiten und Bühnenbild erklären, leistet das Atrium-Ensemble doppelte Spielarbeit. Das nimmt dem ersten Teil manchmal den Drive. Hinzu kommen logische Schwächen im Stück, das in nur 14 Tagen von August Strindberg geschrieben wurde. Glücklicherweise haben sich die drei SchauspielerInnen mit ihrer Regisseurin Elke Steinmetz nicht stur an die Vorlage gehalten, sondern aus dem Scheitern der Strindbergschen Figuren ein Stück über die Unmöglichkeit gemacht: über die Unmöglichkeit, aus der eigenen Welt auszubrechen. Fräulein Julie bleibt die anmaßende und sich selbst bemitleidende Grafentochter, die sie von Anfang an ist. Selbst dann, als sie Jean am Ende bittet, ihr den Selbstmord zu befehlen. Jean, der herzlose, der sich bei seiner Verlobten, der Köchin Kristin, für das Essen bedankt, um sie gleich darauf zu treten, weil sie den Teller für die Nierchen nicht angewärmt hat, bleibt auch dann noch strebsamer Diener, als er Herr über seine Herrin ist; erstarrend vor den Stiefeln des Grafen und hypnotisiert vor Ehrfurcht, als die Türglocke die Rückkehr des Patriarchen ankündigt. Und Kristin die dumm-frömmelnde, die ihren eigenen Glauben nicht versteht und beständig ihre Ahnung von der sado-masochistischen Beziehung zwischen ihrer Herrin und ihrem Verlobten verdrängt. Indem das Atrium-Ensemble das Stück von dem pseudowissenschaftlichen Anspruch Strindbergs befreit und sich auf den Klassen- und Geschlechterkampf konzentriert, ist es Strindbergs fatalistischem Weltbild nähergekommen, als er es selbst vermochte. Jörn Krämer
Das Atrium-Ensemble spielt noch bis Sonntag, 26. April jeweils um 20 Uhr im Saalbau Neukölln, Karl- Marx-Straße 141.
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