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Männer bündeln in BremenSexismus schadet Gemeinwohl

Das Tabak-Collegium gehört zu den Bremer Netzwerker-Treffs, die unterm Deckmantel von Tradition Frauen diskriminieren

So sind ein Tabak-Warnhinweis aus. Auch fürs Tabak-Collegium wäre er angemessen. Foto: (dpa)

BREMEN taz | Carsten Sieling ist kein Jurist, außerdem kam seine Inthronisation als Präsident des Senats im vergangenen Sommer ein wenig plötzlich, ganz ohne Einarbeitungszeit. Trotzdem hätte der langjährige Bremer Politiker (SPD-Mitglied seit 1976) wissen können, dass die Hauptstadt der Männerbünde einige Stolperfallen bereithält. Oder seine Rathauscrew hätte es wissen müssen. Der nächste Fettnapf wartet Anfang Juni.

Staffan Carlsson, bis vor Kurzem schwedischer Botschafter in Berlin, kann sich an seinen Fauxpas sicher noch erinnern. Der Diplomat musste einen Rüffel aus Stockholm einstecken, weil er 2014 einer Einladung zur Schaffermahlzeit gefolgt war. Die war damals noch strikt frauenfrei, außer für Damen mit Kapitänspatent und die Bundeskanzlerin. Das kam in unserem gleichheitsbewussten Nachbarland nicht gut an.

Heute würde der skandinavische Gesandte keinen Ärger mehr mit seinem Außenministerium bekommen, denn die Schaffermahlzeit lässt mittlerweile weibliche Gäste zu. Der Ostasiatische Verein nimmt sogar Frauen als Mitglieder auf. Aber beim Stiftungsfest der Eiswette wollen 800 Frackträger auch in Zukunft unter sich bleiben. An dem sechsstündigen Beisammensein mit rigider Pausenordnung und schlüpfrigen Witzen nimmt üblicherweise der Bürgermeister teil – im vergangenen Februar also Carsten Sieling. Der war bis Amtsantritt im Rathaus Chef der Parlamentarischen Linken (PL), Stoßtrupp der Aufrechten in der SPD-Bundestagsfraktion.

Auf Nachfrage erklärt sein Sprecher André Städler, dass Sieling „seine Teilnahme zugesagt“ habe, obwohl er reine Männerveranstaltungen nicht mehr für zeitgemäß hält“. Und ergänzt: „Unabhängig davon würde Dr. Sieling selbstverständlich an keiner Veranstaltung teilnehmen, die Menschen anderer Hautfarbe oder mit Handicaps ausschließt.“

Diskriminierung von Frauen ist demnach weniger schlimm, ein Gewohnheitsrecht gewissermaßen. Tatsächlich galten zumal in Bremen lange Zeit frauenfreie Prachtveranstaltungen als Tradition, von den Herren goutiert, von den Damen hingenommen. Aber seit einigen Jahren protestieren Bremerinnen, Medien rücken das damenlose Netzwerken an den Rand der Peinlichkeit und das bremische Parlament erwartet bereits seit 2013, rotgrün verschwiemelt getextet, „von den Veranstaltern bremischer Tradititonsfeiern“ künftig „gleichermaßen Männer wie Frauen willkommen zu heißen.“ Wer die Erwartung ignoriert, muss aber nichts befürchten: Der Bürgermeister kommt trotzdem.

„Eine gewisse gummiartige Toleranz“ gegenüber Altbekanntem wie dem Ausschluss von Frauen stellt die Hamburger Juraprofessorin Nora Markard fest. Tatsächlich seien alle Diskriminierungsverbote gleichrangig, sagt die Expertin. Der Bremer Verfassungsrechtler Ulli Rühl hält das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot für nicht anwendbar auf die Frage, welche Veranstaltungen der Bürgermeister besucht. Das sei „eher eine Gewissensfrage – oder eben eine Frage der politischen Opportunität“. Da hat sich der links profilierte Bürgermeister klar entschieden.

Rühls Kasseler Kollegin Silke Laskowski verweist dagegen auf die 1994 verabschiedete Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördern muss. Deshalb dürfe auch der Bremer Bürgermeister nicht „an der Diskriminierung von Frauen mitwirken“.

Nächster Termin für eine pompös inszenierte Herrenrunde ist der erste Donnerstag im Juni: Das Bremer Tabak-Collegium stellt dann wieder seine Stühle auf. Denn Bremer Männerbündelei findet nicht nur an lauschigen Winterabenden statt.

Dreimal im Jahr trinken, rauchen und reden Herren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Justiz, Medien und Politik auf Einladung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die gebärdet sich schamlos als Traditionsverein, obwohl sie erst in den 1950er Jahren von der Tabakindustrie ins Leben gerufen wurde. Seitdem bespielt die GmbH ihre Gäste mit preußisch inspirierten und selbst ausgedachten Ritualen, aber ganz ohne wohltätige Ambitionen.

Im Dezember treffen sich die Herren unter Rathauslüstern, trotz des Parlamentsbeschlusses von 2013. Dieses Jahr, versichert Rathaussprecher Werner Wick, werde man aber mal „ansprechen, dass es einen bindenden Beschluss der Bürgerschaft gibt“.

Zweimal jährlich lädt das Collegium an wechselnde, noble Orte. Das Gestühl wird jeweils dorthin transportiert. Die Kosten des Budenzaubers tragen Unternehmen, darunter Daimler, Siemens und die Bremer Sparkasse, die sich sonst gerne als Förderer von Frauen und Vielfalt präsentieren. Gegenüber seinen Gästen spielt das Tabak-Collegium nicht mit offenen Karten. ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke, der die Anwesenheitsliste zuletzt aufhübschte, versichert, ihm sei nicht klar gewesen, dass keine Frauen eingeladen werden.

Unklar, ob Bürgermeister Sieling für den 2.6. eine Einladung zum Diskriminierungs-Event hat. Senatoren und leitende Herren aus dem Bremer Staatsapparat, darunter zuletzt SPD-Senator Martin Günthner, nehmen immer wieder gerne an den Stuhlkreisen teil, bei denen abgehalfterte Adelige mit „Seine Hoheit“ angeredet werden.

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3 Kommentare

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  • Frau Mayr, Sie haben in Ihrem Artikel das Bremer Paradoxon treffend dargestellt. Damit meine ich den Widerspruch zwischen der nach extern kommunizierten sozialdemokratischen Überzeugung und der Bremer Realität mit ihren „traditionellen“ Herrenrunden. Der Versuch, die öffentlich stattfindende Benachteiligung von Frauen mit „Tradition“ zu rechtfertigen, ist kümmerlich und die Reaktion der Politiker armselig.

     

    Zum Kommentar von Herrn Korol:

    Sexismus ist die auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung. Die Diskussion dazu ist leider überaus notwendig. Unnütz ist es dagegen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden und Politiker ihrer Verpflichtung aus dem Grundgesetz nicht nachkommen. Die lautet: „Der Staat (…)wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

  • Während die Engel schon bei Morgenstern als irrelevantes Scholastikerproblem abgetan werden, finde ich es doch sehr fraglich, die Diskussion dieser „nie Erspähte(n)“ mit der Debatte über die sehr reale Diskriminierung von 50% der Gesellschaft zu vergleichen. Und nur weil Sie nicht wissen, was ein Wort bedeutet, heißt das nicht, dass es keinen real existierenden Sexismus gibt oder – mit Wikipedias Worten - „die bewusste oder unbewusste Leugnung fortgesetzter Diskriminierung von Frauen“ nicht existiert. Im Gegenteil stellt der Artikel dieses Verhalten sehr klar dar. Fügen wir dem noch ein weiteres Beispiel hinzu: Wenn Bundeskanzler aufgrund ihres Amtes aus Tradition immer zur Bremer Eiswette eingeladen werden und dann plötzlich nicht mehr, weil das Amt nun von einer Frau bekleidet wird, ist das eindeutig Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (und natürlich auch ein Bruch der den Veranstaltern so wichtigen Tradition). Ich bezweifle, dass Frau Merkel sich persönlich daran stört, dennoch ist dies ein sehr öffentlicher Ausdruck von geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung (statt aufgrund eines Sachgrundes wie bspw. der Fähigkeit einer Person), welche mit Sicherheit auch in anderen Bereichen des Bremer politischen/wirtschaftlichen Lebens stattfindet. Und der Ausschluss oder zumindest die nicht volle Berücksichtigung des Potentials der Hälfte der Bevölkerung ist natürlich schlecht für das Gemeinwohl – in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht.

     

    Immer gerne aufklärerisch tätig – eine Bremer Frau

     

    Literaturhinweise:

    http://gutenberg.spiegel.de/buch/christian-morgenstern-gedichte-325/54

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sexismus

  • Ich weiß nicht, ob, wie Gabi Mayr im Titel ihres Artikels behauptet, Sexismus dem Gemeinwohl schadet. Der Grund: Ich weiß (immer noch) nicht, was das sein soll: „Sexismus“. (Ich schätze mal, es geht auch bei diesem Ismus um Macht und Geld, ohne dass das gesagt wird). Ich weiß nur, und da bin ich mir sehr sicher, dass eine/die „Sexismus“-Debatte dem Gemeinwohl nicht dient. Ich halte sie bestenfalls für unnütz, so unnütz jedenfalls für das Gemeinwohl wie etwa die – immerhin jahrhundertelang – geführte Debatte über die Frage, wie viele Engel wohl auf eine Nadelspitze passen.

    Martin Korol, Bremen