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Archiv-Artikel

EINE STADT WIRD KAPUTTGESPART Madrid verliert seine Seele

AUS SPANIEN VON REINER WANDLER

Wir Madrilenen – ja, ich zähle mich nach 21 Jahren in der spanischen Hauptstadt dazu – lieben unsere Stadt. „Von Madrid in den Himmel … und dort ein Loch, um auf die Stadt herunterzuschauen …“, lautet das Motto der Hauptstädter. Umso mehr schmerzt es zu sehen, wie sich die altehrwürdige Stadt in den letzten Jahren verändert.

Hoch verschuldet durch wahnwitzige Infrastrukturmaßnahmen und den letztlich gescheiterten olympischen Traum, wird gespart, wo es nur geht. Dass die Stadt etwas schmutziger ist als üblich, der Asphalt brüchig und holprig wie schon lange nicht mehr, mag ja noch hinzunehmen sein. Schließlich hat Madrid wesentlich schlechtere Zeiten gesehen. Doch was wirklich wehtut, ist das immer spärlicher werdende kulturelle Angebot. Schließlich machte dies Madrid aus. „La Movida“ hieß das Nachtleben einst in den 1980er Jahren. Das Motto lautete: „Madrid me mata!“ – „Madrid bringt mich um!“

Das ist längst vorbei. Auf Stadtteilfesten spielen schon lange keine bekannten Rockbands mehr. Nach 34 Jahren findet dieses Jahr das Jazzfestival, das immer die Großen dieser Welt versammelte, nicht mehr statt. Die Stadtverwaltung stellt die Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung. Die Theater kämpfen ums Überleben. Immer spärlicher werden die Subventionen und immer teurer die Eintrittskarten wegen der Anhebung der Mehrwertsteuer für kulturelle Veranstaltungen von 7 auf 21 Prozent. Auch die Kinos bekommen das zu spüren. Nur noch drei der einst 13 Lichtspielhäuser auf Madrids „Broadway“, der Gran Vía, sind offen.

Stolz erzählen die Madrilenen, dass es in ihrer Stadt mehr Kneipen gibt als in ganz Norwegen. Doch auch das könnte bald schon Geschichte sein. In den letzten vier Jahren haben 4.500 Bars, Cafés und Restaurants geschlossen. Die Stadt verliert ihre Seele, wird immer langweiliger. Nicht nur für die Madrilenen büßt die Innenstadt an Reiz ein. Auch die Touristen bleiben aus. Vergangenen August kamen 22 Prozent weniger Reisende nach Madrid als noch im Jahr zuvor.

Viele Gebäude mitten im Zentrum sind zugemauert, damit sie nicht besetzt werden. An der Plaza España am Ende der Gran Vía stehen mehrere historische Gebäude leer. Die Zahl der Obdachlosen nimmt zu. In so manchem Park leben in versteckten Ecken Menschen in Zelten oder unter Planen. Selbst auf der altehrwürdigen Plaza Mayor schlafen Nacht für Nacht mehrere Dutzend Menschen versteckt unter Kartons.

Die Stadtverwaltung hat jetzt einen Plan, um Madrid wieder herauszuputzen. Er besteht aus einem Bußgeldkatalog. Wer bettelt, kann künftig mit bis zu 750 Euro Strafe belegt werden. Das Gleiche gilt für diejenigen, die „auf öffentlichen Wegen campen oder kochen oder die Bänke für etwas anderes als zum Sitzen benutzen“.

Selbst die Straßenmusiker stehen jetzt unter Überwachung. Sie haben einen Monat Zeit, um sich auf dem Rathaus für eine Prüfung anzumelden. Beim Vorspielen entscheiden dann zwei Beamte, ob das Vorgetragene geeignet ist, die Passanten zu unterhalten, oder ob es sie nur belästigt. Wer den neuen Straßenmusikerausweis nicht hat, wird ebenfalls mit Bußgeld rechnen müssen.