Madagaskars Natur: Die Stars des Regenwaldes
Die Regierung verscherbelt den Wald. Die Artenvielfalt wird durch Raubbau massiv geschädigt.
Sie sind die größten. Und die lautesten. Wer sie hört, dem bleibt die Luft weg, so erzählt man sich. Die Indri Indri sind die Stars im Regenwald des Nationalparks Analamazaotra-Mantadia, 140 Kilometer östlich von Madagaskars Hauptstadt.
Während der feuchten Jahreszeit bleiben Lemuren, Chamäleons und Wildkatzen, Schlangen, Geckos, Frösche und was das knapp 12.800 Hektar große Reservat an aufregender Fauna noch zu bieten hat, fast unter sich. Im Januar und Februar waren wieder Wirbelstürme vom Indischen Ozean übers Land hergefallen – keine gute Saison für die Fremden aus Übersee.
Ein Hotspot der Artenvielfalt
Unterwegs im Land: Einige geteerte Überlandstraßen verbinden die wichtigsten Städte. Auch die Straßen zu den Nationalparks sind in der Regel gut. Ein Mietwagen mit Fahrer kann ab 30 Euro pro Tag gemietet werden.
Sicherheit: Wegen der instabilen politischen Lage haben Überfälle zugenommen. Vor der Abreise empfiehlt sich ein Blick auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes.
Und sonst: Einige Brocken Französisch sind hilfreich. Mit einer Visa-Card kann man in jeder größeren Stadt problemlos Geld abheben.
Literatur: W. Därr, K. Heimer: "Madagaskar", 2012, A. G. Schaefer: "KulturSchock Madagaskar", 2011; beide im Reise Know How-Verlag, Bielefeld
Zwar ist der Park, „Hotspot der Artenvielfalt“, ein absolutes Muss-Ziel in Madagaskar, wo rund 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten endemisch und höchst schützenswert sind. Doch im Regenwald zur Regenzeit, das tun sich nur Outdoorfreaks an. Wie die knapp zwei Dutzend Gäste, die in der sonst ausgebuchten Hotelanlage „Feon’ny Ala“ einquartiert sind. „Stimme des Waldes“ heißt das in Malagasy. Das passt, die größtenteils aus Naturmaterial konstruierten Bungalows liegen dicht vor der Dschungelwand, aus der nachts ein Konzert aus geheimnisvollem Zirpen, Pfeifen, Quaken und Glucksen tönt.
Ob die Indri Indri sich denn auch hören und womöglich sehen lassen? Marcel, ein Veteran unter den Parkführern, kennt die Frage: „Mit Geduld – und auch Glück“, sagt er. Sein Englisch klingt hart.
Palisanderbäume, riesigen Agaven ähnelnde Pandanusgewächse, ein Ravinala oder „Baum des Reisenden“, der mit seinem fächerartigen Blattwerk hoch über den Wald ragt – Marcel kennt sie alle. Er findet Miniorchideen und bizarr geformte Pilze. Auch den auf einem Ast wippende Paradiesfliegenschnäpper, Wunschtraum eines jeden Ornithologen, macht er aus.
Korruption und Alltagskriminalität
Die Pause auf der Höhe muss sein, trinken, die beschlagene Brille putzen, durchatmen. Bis Marcel „Come here! Chamäleon!“ ruft. Ein großes grünes ist es, das sich mit blinkenden Regentropfen auf der Haut fotogen an einen Ast klammert und sofort zur Beute der Kameras wird.
In einigen Regionen, bemerkt Marcel, gelten Chamäleons als Glücksbringer. „Viele Madagassen aber mögen sie nicht, weil sie an Politiker erinnern: Die wankende Bewegung, einen Schritt vor, einen zurück, manche der Reptilien wechseln die Farbe, wie unsere Regierungen?“
Seit über drei Jahren plagt eine im Ausland kaum wahrgenommene politische Krise die Menschen Madagaskars, eines der zehn ärmsten Länder der Welt. Seit der 37 Jahre junge Politaufsteiger Rajoelina den vorherigen Präsident und Widersacher Ravalomanana im März 2009 ins Exil nach Südafrika geputscht und sich selbst zum Oberhaupt einer Übergangsregierung ernannt hat, lebt die Mehrheit der 21 Millionen Madagassen buchstäblich von der Hand in den Mund, grassiert zügellos die Korruption, verängstigt die gestiegene Alltagskriminalität vor allem die Stadtbewohner, werden wiederholt unliebsame Oppositionelle und mutige Journalisten verhaftet.
Blockierte Hilfsgelder von Geberländern wie der EU und den USA, die das Putschregime nicht anerkennen, fehlen überall – im Gesundheits-, Erziehungswesen und im Naturschutz. Schlimme Umweltfrevel, begünstigt durch schwindende Kontrolle und Profiteure innerhalb der Behörden, sind bekannt geworden.
Als Trost ein Orchideengarten
„Im Nationalpark Masoala, im Nordosten, haben sie Unmengen an Rosenholz geschlagen und nach China exportiert, auch in den USA und in Hamburg sind Lieferungen aufgetaucht! Leider werden auch wieder Lemuren gejagt – für den Kochtopf. Überall werden Bäume und Büsche für die Holzkohlenmeiler geschlagen, damit die Leute kochen können“, sagt Marcel. Beschwörend fährt er fort: „Unsere Zukunft – das ist die Natur, das sind Parks wie dieser.Viele Menschen leben vom Fremdenverkehr
Aktuell sind Warnungen des WWF, dass bis 2030 Madagaskars Wald verschwunden sein wird, wenn das Abbrennen der Wälder und der Raubbau so weitergeht. „Der vorherige Präsident hat auch Fehler gemacht. Er hatte zwar angekündigt, bis 2011 ein Zehntel des Landes unter Schutz zu stellen, doch gleichzeitig hat er Konzessionen für die Ausbeutung riesiger Landflächen durch Erdöl- und Minengesellschaften vergeben“, erzählt Marcel.
In der Gegend um Ambatovy, zwischen der Hafenstadt Toamasina und Antananarivo gelegen, mussten zigtausende Hektar urzeitlichen Primärwaldes weichen, damit ein Bergbaumulti die weltweit größte Fundstätte an Kobalt und Nickel abräumen kann. „Bevor sie den Wald dort abholzten, haben sie wenigstens einige Tiere wie den Goldenen Diademsifaka, eine andere große Lemurenart, hierhin umgesiedelt“, sagt Marcel.
„In Toamasina, von wo das Material verschifft wird, leben viele ausländische Experten. Sie spendierten als mageren Trost die Asphaltierung der Innenstadt. Und im Orchideengarten Tafeln mit Erklärungen.“
Der Guide schweigt abrupt, hebt den Finger. Irgendwo unterhalb heult eine Sirene, eine zweite in tieferer Tonlage setzt ein. „Hört ihr sie?!“ Jetzt werden die Laute sanfter, erinnern an die Gesänge von Buckelwalen. Doch nichts bewegt sich, obwohl der Urwald zu vibrieren scheint. Einige hundert Meter weiter, nach einer Rutschpartie den Hang hinab sind die Rufe zwar verstummt, aber die „Feuermelder“ geortet: In den Astgabeln eines alten Palisanderbaums sitzen drei stattliche Lemuren mit schwarz-grauem Fell und abstehenden Wuschelohren. Die Krönung des Waldausflugs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen