: Madagaskars Armee rückt vor
Der Norden der Insel begrüßt die Truppen der gewählten Regierung als Befreier von den Milizen des Expräsidenten Ratsiraka. Dessen Anhänger suchen Frankreichs Protektion
BERLIN taz ■ „Die Terroristen sind weg. Jetzt sind wir glücklich“, sagt gegenüber der Nachrichtenagentur AFP eine Marktfrau in der Stadt Ambilobe im Norden Madagaskars. Vor einer Woche rückte die Regierungsarmee in Ambilobe ein, das mehrere Monate lang von Milizen des Expräsidenten Didier Ratsiraka beherrscht wurde. Die Milizenkommandanten Jao Martin und Abdon, zwei Boxchampions, wurden angeschossen und lagen vier Tage lang mit schwärenden Wunden in einem Hof, bis sie ins Krankenhaus gebracht wurden.
Im Norden Madagaskars ist die Armee des madegassischen Präsidenten Marc Ravalomanana auf dem Siegeszug. Ihre Truppen werden als Befreier empfangen. Diese Region ist eine Hochburg von Anhängern des früheren Militärdiktators Didier Ratsiraka, der im Dezember 2001 Wahlen gegen Ravalomanana verlor und das bis heute nicht einsieht. Vier Ratsiraka-treue Provinzgouverneure erklärten die Sezession, nachdem Ravalomanana im Mai als Präsident vereidigt wurde. Nur zwei dieser Provinzhauptstädte halten noch aus: Antsiranana im Norden sowie Toamasina an der Ostküste, wo sich auch Ratsiraka verschanzt hat.
Während die Regierungstruppen offenbar keine direkte Offensive auf Toamasina planen, um Ratsiraka die Möglichkeit zur freiwilligen Aufgabe zu lassen, soll Antsirana in diesen Tagen fallen. Die dort aktiven Milizen des Sicherheitschefs Ancelin Coutiti gelten als die brutalsten der Insel. Sie plündern nachts Häuser und Geschäfte und führen Krieg gegen Angehörige der Merina-Ethnie aus dem zentralen Hochland Madagaskars, zu der Präsident Ravalomanana gehört und wo die Hauptstadt Antananarivo liegt. Letzte Woche nahmen die Milizen in Antsiranana 71 junge Merinas gefangen und ketteten sie als menschliche Schutzschilde an den Zaun des Gouverneurspalastes. Einen Tag später wurden die Jugendlichen in Militärhaft gebracht.
Unter anderem aus Angst, diese Geiseln könnten hingerichtet werden, haben Ravalomananas Generäle ihren Vormarsch gestern nach der Einnahme eines Berges 100 Kilometer vor Antsiranana vorläufig gestoppt. Die neue Regierung fürchtet neben Blutvergießen auch die Aktivitäten ausländischer Söldner. Aus Mauritius, Sri Lanka, Algerien, Griechenland, der Ukraine und Frankreich, so berichtet Madagaskars größte Zeitung Midi Madagaskar, soll Ratsiraka bewaffnete Kämpfer angeheuert haben. Ein Dutzend französischer Söldner wurde vorletzte Woche in Tansania entdeckt und nach Frankreich zurückgeschickt, aber 36 weitere sollen gleichzeitig über Südafrika die Insel erreicht haben. Mysteriöse Sabotageakte wie die Sprengung der Stromversorgung der halben Hauptstadt am vergangenen Donnerstag sorgen für Unruhe.
Die Haltung der Exkolonialmacht Frankreich ist Ravalomananas größtes Problem. Angeblich zur Wahrung der Neutralität erkennt die Regierung in Paris Ravalomanana als Präsidenten nicht an und verlangt von ihm, mit Ratsiraka eine „Regierung der nationalen Versöhnung“ zu bilden. Kritiker in Paris, zum Beispiel von den Grünen, vergleichen das mit den französischen Versuchen in Zaire 1997, Diktator Mobutu Sese Seko gegen die vorrückenden Rebellen von Laurent Kabila zu protegieren. Das scheiterte damals, und Frankreich versprach einen Neuanfang in seiner Afrikapolitik. Mit dem Wahlsieg der Rechten in Frankreich aber, so die Kritik, seien nun auch die alten Reflexe wieder da, bei denen Schutz von Freunden wichtiger ist als das Wahren außenpolitischer Prinzipien. Denn was Ratsiraka und seine Freunde vor allem suchen, ist Zeit – um, wie es manche von ihnen bereits tun, per Schiff auf die nahen französischen Überseeinseln Réunion und Mayotte zu fliehen. DOMINIC JOHNSON
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