Machtwechsel in Portugal: Wahlschlappe für Linke
Die WählerInnen haben den Sozialisten unter Premier Sócrates eine herbe Niederlage beschert. Künftig wird die konservative PSD das Land regieren.
MADRID taz | Portugals Premier José Sócrates hatte eine Wahlschlappe erwartet. Doch dass sie so deutlich ausfiel, schmerzte. "Ich werde mich nicht hinter den Umständen verstecken. Diese Niederlage ist meine Niederlage", erklärte der Sozialist und legte noch in der Wahlnacht nach 25 Jahren in der Politik all seine Parteiposten nieder. Die Sozialistische Partei (PS) hatte bei den Parlamentswahlen am Sonntag 8,5 Prozent der Wählerstimmen verloren.
Mit 28,1 Prozent erhält die PS 73 Abgeordneten statt bisher 97. Es ist das schlechteste Ergebnis seit 20 Jahren. Sócrates, der seit 2005 regiert, hatte die Wahlen vorgezogen, nachdem er mit seiner Sparpolitik im Parlament gescheitert war und das Land unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen musste.
Bei der Sozialdemokratischen Partei (PSD) herrschte hingegen Jubel. Sie gewann 9,5 Prozent dazu und erhält mit 38,6 Prozent 105 statt bisher 81 Abgeordnete. Es fehlen nur zehn Sitze zur absoluten Mehrheit. Die PSD eroberte erstmals mehrere ländliche Bezirke, die als rote Hochburgen galten, sowie die beiden Großstädte Lissabon und Porto.
Es sei "nicht der Augenblick für Siegesfeiern", sondern der "Moment absoluter Arbeit", gab sich Pedro Passos Coelho, Spitzenkandidat und künftiger Regierungschef, dennoch bescheiden und patriotisch. Diese Rolle hatte der 47-jährige Wirtschaftswissenschaftler den gesamten Wahlkampf über erfolgreich ausgefüllt. In den kommenden Tagen wird die PSD mit der rechtskonservativen CDS-PP, die mit 24 Abgeordneten ins neue Parlament einzieht, Verhandlungen aufnehmen, "um eine starke Regierung zu bilden".
Sócrates zahlt für die Krise
Die CDS-PP erzielte 11,7 statt bisher 10,4 Prozent. Das kommunistisch-grüne Wahlbündnis CDU hält seine 7,9 Prozent, gewinnt aber einen Abgeordneten hinzu. Der Linksblock (BE) verlor knapp die Hälfte der Stimmen und Abgeordneten und wird künftig mit 5,2 Prozent noch acht Sitze haben.
Sócrates, der seit 2005 die Geschicke Portugals lenkt, bezahlt für die Krise. Portugal verbuchte Ende 2010 Staatsschulden von über 90 Prozent des BIPs und ein Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent. Der Sozialist, der eine Minderheitsregierung anführt, hatte drei Spar- und Steuerprogramme aufgelegt. Jedes Mal war das Ziel, das Haushaltsdefizit bis 2013 auf 3 Prozent zu senken.
Die Rechnungen schienen aufzugehen, doch dann stuften die internationalen Ratingagenturen das Land herunter. Die Risikozuschläge fraßen die Ersparnisse. Letztendlich scheiterte Sócrates Ende März an einem vierten Kürzungsvorhaben. Die PSD von Wahlsieger Passos Coelho verweigerte ihre Zustimmung im Parlament. Die Flucht unter den Euro-Rettungsschirm und der Gang zur EU und zum IWF wurden unumgänglich. Sócrates setzte vorgezogene Neuwahlen an.
Soziale Konflikte werden kommen
"Es ist besser, um Hilfe zu bitten, als an Hunger zu sterben", verteidigte sich Passos Coelho, als Sócrates ihn beschuldigte, "dem IWF die Türen geöffnet" zu haben. Passos Coelho fällt die Aufgabe zu, die mit IWF und EU ausgearbeiteten Bedingungen für die Finanzhilfe von 78 Milliarden Euro umzusetzen. "Die Jahre, die vor uns liegen, verlangen von allen Portugiesen viel Mut", erklärte der Konservative nach seinem Sieg.
Ein Blick in das Memorandum zeigt, die Hilfe kommt die Portugiesen teuer zu stehen. Das Ziel ist, wie bereits unter Sócrates, die Senkung des Defizits auf 3 Prozent bis 2013, nur dass Portugal jetzt wesentlich stärker verschuldet ist, als zu Beginn der Krise. Ob bei Gehältern im öffentlichen Dienst oder bei den Renten, ob im Erziehungssystem oder Gesundheitswesen, es wird überall der Rotstift angesetzt. Die Verbrauchersteuern werden angehoben, der Arbeitsmarkt weiter flexibilisiert, Infrastrukturmaßnahmen eingefroren, die Förderung für erneuerbare Energien heruntergefahren.
Die Wirtschaft Portugals wird dadurch in diesem und dem nächsten Jahr um jeweils 2 Prozent schrumpfen. Die Arbeitslosigkeit, derzeit bei 12,4 Prozent, wird steigen. Soziale Konflikte sind programmiert. Am Tag vor den Wahlen räumte die Polizei den Rossio-Platz im Zentrum Lissabons, wo nach spanischem Vorbild hunderte Menschen ein Prostestcamp für "echte Demokratie" und gegen das "Diktat der Märkte und des IWF" errichtet hatten. "Wir brauchen viel Geduld, die Ergebnisse werden sich nicht von einem Tag auf den anderen einstellen", bereitete Passos Coelho die Portugiesen vor.
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