Machtwechsel bei der Tour de France: Sehnsucht nach den Altstars

Der Gesamtsieg bei der Tour de France ist für die Gewinner der letzten Jahre, das Team Ineos, bereits außer Sichtweite. Das löst einige Debatten aus.

Rennradfahrer Bernal mit offenem Mund und Trikot beim Anstieg

Außer Puste: Vorjahressieger Egan Bernal ist nicht in Form Foto: ap

Am Vortag noch hatte der sportliche Leiter Gabriel Rasch getönt: „Wir brauchen die wirklich harten Etappen mit den langen Anstiegen, damit Egan einen Unterschied machen kann. Er will die Tour gewinnen und fühlt sich jeden Tag stärker.“

Nun ja, eine harte Etappe mit langem Anstieg kam schon am Sonntag – und Bernal war alles andere als stark. Der junge Kolumbianer reagierte zumindest mit Realismus auf die Schlappe: „Die Tour zu gewinnen ist nun unmöglich für mich. Andere Fahrer sind stärker. Das habe ich zu akzeptieren. Ich fühle mich leer und hatte einfach keine Kraft. Da gibt es keine anderen Entschuldigungen.“ Bernal benutzte auch seine Rückenprobleme nicht als Ausrede. „Wir müssen jetzt unsere Pläne für das Rennen verändern“, blickte er auf die nahe Zukunft.

Da gab es am Ruhetag dann einiges zu tun bei Team Ineos. Das eine oder andere dürfte da sicher auch aufgearbeitet worden sein. Mehrere Faktoren trugen zum Einbruch bei. Erstens ist Kapitän Bernal offensichtlich nicht in der Verfassung, um seinen Titel zu verteidigen. Den totalen Lockdown in Kolumbien musste er zwar nicht mitmachen. Die WorldTour-Profis hatten die Erlaubnis, auf den Straßen zu trainieren, während die gewöhnlichen Kolumbianer zu Hause bleiben mussten. Aber möglicherweise setzte er die Ineos-­Trainingspläne in der Ferne doch nicht so strikt um wie erwartet.

Neben der Schwäche des Kapitäns war die Schwäche der Mannschaft augenfällig. Da spielte einerseits Pech eine Rolle. Der enorm talentierte Russe Pavel Sivakov, dem die Rolle als letztem Helfer in den Bergen zugedacht war, stürzte früh und hat das Rennen längst verlassen müssen. Die Nominierung von Richard Carapaz war von Beginn an ein Risiko. Der Ecuadorianer hatte seinen Formhöhepunkt eigentlich für den Giro angestrebt. Mitte Oktober sollte er topfit sein. Weil dann aber beide Altstars, Chris Froome und Geraint Thomas, wegen eigener Formdefizite aussortiert wurden, musste er ran.

Richtige Auswahl der Fahrer?

Im Moment der bisher größten Pleite des Rennstalls Ineos fehlen natürlich nicht die, die es schon immer besser wussten. Ex-Toursieger Bradley Wiggins, aktuell als Eurosport-Kommentator ins Radgeschäft zurückgekehrt, schoss eine deftige Breitseite der Kritik gegen seinen ehemaligen Rennstall ab. „Zu großen Rennen nimmt man seine stärksten Fahrer mit“, tönte er und meinte damit natürlich Froome und Thomas. „Ihre Präsenz allein kann schon eine große Rolle spielen“, legte er nach und bezog sich dabei auf „die Präsenz am Frühstückstisch“, aber auch die „Präsenz bei den Flachetappen“. Und in den Bergen hielt er selbst bei einem Thomas ohne Form noch Leistungen auf der Höhe des jetzt in den Top 10 platzierten Richie Porte für möglich.

Bei seiner Generalabrechnung vergaß Wiggins aber sein Sonderlob, das er noch vor Beginn der Tour ausgesprochen hatte. Da verteidigte er die Entscheidung von Teammanager Dave Brailsford: „Dave ist ein sehr guter Manager. Er ist so gut, weil er das Team über den Einzelnen stellt. Und sicher haben sie alle Daten und Fakten ausgewertet für die Entscheidung, wer zum Team gehört.“

Wohl jeder andere Manager hätte einen Froome mitgenommen, und wenn er sich nur als Helfer die richtige Form für die Vuelta holen soll. Und jeder hätte Thomas mitgenommen, mindestens für eine Rolle, wie sie bei Jumbo Visma aktuell Edelhelfer Tom Dumoulin spielt. Aber vermutlich traute es Brailsford seinen sportlichen Leitern nicht zu, die Egos der Altstars zu händeln. Der Mann, dem dies gelang, lebt nicht mehr. Der sportliche Leiter Nicolas Portal starb kurz vor Beginn des europaweiten Lockdowns. Seine Aufgaben sind jetzt auf mehrere Schultern, aber offenbar nicht optimal verteilt.

So zuckelt nun Ineos, das zu Beginn der Tour noch den Schriftzug Grenadier, das neue Monsterauto vom Mutterkonzern Ineos, als Werbung auf den Rücken bekam, nun eher mit der Power einer Citroën-Ente durch Frankreichs Straßen.

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