: Machtpoker am großen Fluß
Vom Krieg ruiniert und zwischen vier Armeen aus drei Ländern geteilt, erleidet die Stadt Kisangani den schleichenden Zerfall des Kongo. Die Führer der rivalisierenden Gruppen liegen miteinander im Dauerstreit ■ Aus Kisangani Levi Ochieng
Kleine und große Flugzeuge holpern mit überraschender Häufigkeit durch den Himmel über Kisangani. Aber der Flughafen der ostkongolesischen Metropole ist eine Ruine, und nur eine Handvoll ugandischer und ruandischer Soldaten ist dort präsent. Was einst schön war in dieser Stadt am Kongo-Fluß, hat der Krieg zerstört.
Die Gebäude sind kaputt. Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser. Die Straßen sind voller Militärfahrzeuge und Panzer. Es gibt keine Kleinbusse, denn es gibt keine Pendler, weil es keine Arbeit gibt. Es gibt gerade mal sieben Taxis in der ganzen Stadt – und Tausende Fahrräder.
Kisangani ist eine geteilte Stadt. Vier verschiedene Streitkräfte aus drei Ländern sind hier stationiert: Soldaten aus Uganda und aus Ruanda, dazu zwei rivalisierende Fraktionen der kongolesischen Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), die sich kürzlich in einen ugandischen und einen ruandischen Flügel gespalten hat. Jede Gruppe hat ihren eigenen Sektor. Niemand darf einen fremden Sektor mit Waffen oder ohne Sondererlaubnis betreten.
Die ugandische Armee hat ihr Hauptquartier in einer ungenutzten Holzfabrik, etwa zwei Kilometer vom ruandischen Hauptquartier entfernt. Die Truppe von Ernest Wamba dia Wamba, Führer des ugandatreuen RCD-Flügels, besetzt einen anderen Stadtteil, obwohl sie hauptsächlich aus ugandischen Soldaten besteht. Wamba zog Anfang April unter Schutz der ugandischen Armee aus dem ruandisch kontrollierten Goma nach Kisangani. Einen Monat später stürmten schwerbewaffnete Soldaten der mit Wamba rivalisierenden RCD-Fraktion – die ihn wenig später für abgesetzt erklärte – ebenfalls in die Stadt und richteten ihren eigenen Sektor ein.
Nur das Stadtzentrum ist für alle offen. Auf der zentralen Straße fahren Tag und Nacht schwerbewaffnete Soldaten aller Armeen herum wie auftrumpfende Teenager und stellen ihr Gerät zur Schau: Handgranaten, Maschinengewehre, Raketenwerfer, Luftabwehrraketen. Die Rebellenführer bewegen sich in neuen Geländewagen mit waffenstarrenden Garden, die sogar Flugabwehr herumkarren. Ugandas Generalstabschef James Kazini, der in Kisangani sein Hauptquartier hat, führt dagegen nur zwei oder drei Bewacher mit sich in seinem Geländewagen ohne Nummernschild, den er auch noch selber fährt. Ähnlich unscheinbar bewegt sich sein ruandischer Gegenpart Patrick Nyanvumba.
Die Spannungen zwischen den Gruppen wachsen. Ugandas Generalstabschef James Kazini findet, die RCD sei zur Zeit völlig durcheinander und verantwortlich seien ihre Führer, die miteinander streiten. Anfang Juni drohte Kazini, den Militärführer und Vizepräsidenten der ruandatreuen RCD-Fraktion, Jean-Pierre Ondekane, festzunehmen. Er erklärte: „Statt die politische und militärische Situation im Kongo richtig zu lesen, um korrigierende Schritte zu unternehmen und die echte Sache des Volkes voranzubringen, haben Sie die ugandische Armee als Sündenbock für Ihre eigene Schwäche herausgenommen. Ich warne Sie, die Provokationen gegen uns fortan zu unterlassen, sonst werde ich Sie angreifen und verhaften.“
Ugandische Armeeoffiziere in Kisangani sagen, die mit ugandischer und ruandischer Hilfe gestartete Rebellion im Kongo habe falsch begonnen. Sie habe das Interesse der Kongolesen nicht in den Vordergrund gestellt und keine klare militärische Organisation gehabt. Nach ugandischer Meinung sollte der Krieg gegen Kabila verlangsamt werden, um im Rebellengebiet mehr politische Strukturen aufzubauen. Ruanda dagegen will einen schnellen Krieg, damit Kabila keine Verstärkung heranholen kann.
Ruandas Kommandeur Patrick Nyanvumba meint, die Differenzen mit Uganda seien eher emotionaler als fundamentaler Natur. „Ich persönlich versuche, so viel wie möglich mit Kommandant Kazini in Verbindung zu sein, so daß es keine Probleme gibt“, sagt er. „Was auch immer passiert ist, sind Kleinigkeiten.“
Für die Kongolesen sind es mehr als Kleinigkeiten. Jean-Pierre Ondekane klagt lautstark über Uganda. Ugandische Soldaten hätten unschuldige Zivilisten getötet, sagt der dickliche Kommandeur, umgeben vom neuen Provinzgouverneur Theophile Barut und Kisanganis Bürgermeister Gabriel Boondo Lotika. Uganda habe auch die Zersplitterung der RCD bewirkt, indem es Wamba nach Kisangani holte. Man habe Wamba absetzen müssen, weil er sich geweigert habe, einer RCD-Gründerversammlung in Goma beizuwohnen. Außerdem habe Wamba 413.000 US-Dollar gestohlen, und die Ugander stählen Holz, Kaffee, Gold und Diamanten.
Politisch plädiert Ondekane für die Fortsetzung des Krieges. Es gehe um den Sturz schlechter Führer, sagt er, und dies könne nur durch den Einmarsch in Kongos Hauptstadt Kinshasa erzielt werden. „Wenn wir Ungerechtigkeit, ethnische Säuberung, Terror und alle Übel Kabilas bekämpfen wollen, müssen wir uns bewegen“, sagt er. „Sonst wird er kommen und die Kongolesen zerstören.“
Ernest Wamba dia Wamba hält sich derweil immer noch für den wahren RCD-Präsidenten und spricht von einem Militärputsch in seiner Bewegung. „Niemand hier will einen Militärdiktator“, sagt er. „Die amerikanische Philosophie eines starken Mannes als Führer wird nicht funktionieren. Die Antwort auf das kongolesische Problem liegt nicht beim Militär, sondern in der Aufklärung des Volkes.“
Wambas Meinung nach haben die Kongolesen genug vom Krieg. „Wir können nicht einfach kämpfen, um nach Kinshasa zu gelangen“, meint er. Man brauche erst eine nationale Armee, weil es nicht ausreiche, sich auf ausländische Kräfte zu verlassen. Wamba hat daher alle früheren Amtsträger und Soldaten des ehemaligen Mobutu-Regimes eingeladen, nach Hause zu kommen und sich dem Kampf anzuschließen.
Ugandas Armeeführer Kazini weist Ondekanes Anschuldigungen des Diebstahls derweil lachend zurück. „Was gibt es hier, was wir stehlen könnten? Diese Anschuldigungen sind nicht neu. Sie sind Teil des Problems, das wir mit den Kongolesen haben.“
Einfache Kongolesen haben ihrerseits ein Problem mit den Ugandern. Auf den Straßen Kisanganis genießen die Ruander mehr Respekt als die Ugander. Viele Kongolesen verstehen nicht, was Uganda bei ihnen will, und fordern den ugandischen Abzug. Die Ruander gelten als disziplinierter.
Letztlich wird aber an beiden Ländern Kritik geübt. Uganda und Ruanda versuchten, ihre Lösung den Rebellen aufzuzwingen, heißt es. Ein einheimischer Journalist kommt zum Schluß: „Nur Gott kann Kongo retten.“
Der Autor ist Reporter der kenianischen Wochenzeitung „East African“ und schrieb diesen Text für die taz.
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