Machtkampf um Tanker "Sirius Star": Somalias Islamisten gegen Piraten
Um den saudischen Tanker "Sirius Star" tobt offenbar ein Machtkampf. Somalias Islamisten setzen sich gegen die Piraten zur Wehr, weil sie um ihre Vormachtstellung fürchten.
Zu Hause genießen Somalias Piraten eigentlich einen Heldenstatus: Im nach fast 18 Jahren Bürgerkrieg zerfallenen Staat sind sie die einzigen, die Tausenden Arbeit garantieren. Das von ihnen mit vollen Händen ausgegebene Lösegeld hat zudem weite Teile der öden und vergessenen Küstenregion nördlich der Hauptstadt Mogadischu erblühen lassen. Doch seit dem Wochenende haben die Seeräuber mächtige Gegner: Da fuhren schwer bewaffnete Kämpfer der Shabaab, Somalias radikalster Islamisten-Miliz, in Haradhere auf, wo der saudische Supertanker "Sirius Star" vor Anker liegt.
"Ein Schiff muslimischer Herkunft zu überfallen ist ein großes Verbrechen, und wir werden die Piraten zur Rechenschaft ziehen", kündigte ein Sprecher al-Shabaabs, Abdelghafar Musa, an. "Es tut uns wirklich leid, dass dieses Schiff gekapert wurde." In dem Piratennest gut 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Mogadischu suchten die auf mehrere Fahrzeuge verteilten Milizen die ganze Stadt nach den Drahtziehern der Entführung ab, berichten Bewohner - allerdings ohne Erfolg. Die Shabaab behaupten zwar, Haradhere unter ihrer Kontrolle zu haben. Doch ein Sprecher der Piraten wies die Behauptung umgehend zurück: "Das stimmt nicht, und wenn uns jemand angreifen will, wäre das Selbstmord." Bewohner bestätigen, dass die Piraten mindestens 100 weitere Kämpfer angeworben haben, um ihre Stellungen zu schützen.
Die Opposition al-Shabaabs gegen die Piraten kommt überraschend. Zwar hatte die Union Islamischer Gerichtshöfe, die Somalia 2006 ein halbes Jahr lang regierte, damals die Piraterie vor der Küste tatsächlich unterbunden. Doch zwei Jahre später zweifelt niemand daran, dass die Führung der im Untergrund kämpfenden Shabaab von den Piratenüberfällen profitiert. So liefern führende Piraten den Milizen Waffen, die diese im Kampf gegen die somalische Übergangsregierung und die mit ihr verbündete äthiopische Armee einsetzen. Wahrscheinlich ist, dass die Islamisten sich gegen die immer mächtiger werdenden Piraten zur Wehr setzen, weil sie um ihre Vormachtstellung fürchten.
"Somalische Piraten haben allein in diesem Jahr 150 Millionen US-Dollar Lösegeld erwirtschaftet", korrigierte Kenias Außenminister Moses Wetangula zum Abschluss eines Krisengipfels in Nairobi am Freitag bisherige Schätzungen, die von einem Drittel ausgegangen waren. Erst am Samstag legte Rumäniens Regierung eine unbekannte Summe für die Freilassung des griechischen Tankers "Genious" mit 19 Rumänen an Bord auf den Tisch. Das Schiff hatte sich seit zwei Monaten in den Händen der Piraten befunden. Für die saudische "Sirius Star", das größte jemals von Piraten entführte Schiff mit zwei Millionen Barrel Rohöl an Bord, verlangen die Piraten angeblich 25 Millionen US-Dollar.
Der Aufstieg der Piraten kommt für die Shabaab zur Unzeit: Die Islamisten stehen derzeit vor Mogadischu. Außer dem zentralsomalischen Städtchen Baidoa ist die Hauptstadt die letzte Hochburg der Regierung. Die wenigen Bewohner, die noch nicht aus Mogadischu geflohen sind, rechnen mit dem baldigen Einmarsch der Islamisten. "Sie haben die Stadt schon umzingelt", sagt Achmed, ein Gemüsehändler, in der von fast täglichen Kämpfen und zahlreichen Bombenanschlägen erschütterten Stadt. "Ich hoffe, es geht schnell." Sollte Mogadischu fallen, wären die Islamisten die neuen Herrscher Somalias - wenn die Piraten sie lassen. Beim jüngsten Gefecht waren am Freitag mindestens 15 Kämpfer beider Seiten getötet worden. Somalias Präsident Abdullahi Yusuf kündigte unterdessen an, die äthiopische Armee werde sich vorläufig nicht wie angekündigt aus Somalia zurückziehen. Diese Ankündigung dürfte einen unter UN-Vermittlung geschlossenen Friedensvertrag mit einem moderaten Islamisten-Flügel belasten.
In Berlin drang die Bundesregierung am vergangenen Wochenende auf einen raschen und entschlossenen Einsatz gegen die Piraten. Verteidigungsminister Franz Josef Jung forderte ein europäisches Mandat mit einer klaren Rechtsgrundlage. Die Unionsfraktion im Bundestag verlangte ebenfalls klare gesetzliche Regeln. Am Rande des Apec-Gipfels in Lima sprachen sich die USA und Russland für eine Zusammenarbeit im Kampf gegen die Piraten aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden