MORGENS NACH MITTE : Legend of 1989
Der Kaffee an diesem Morgen ist dünn bei „Wurst-Pate“ Köpenicker-, Ecke Michaelkirchstraße, Grenzbereich Kreuzberg/Mitte. Dafür kostet er nur 80 Cent und das mitbestellte Hot Dog Danish Style lässt röstzwiebelmäßig so gar nichts vermissen. Die Aussicht auf die Straßenkreuzung wird flankiert von struppigen Baumresten, die auch im Sommer nicht viel Grün erwarten lassen.
Ganz anders liegt der Fall bei einer beherzt die Fußgängerampel überquerenden älteren Dame, die am linken Arm einen blinden Begleiter untergehakt hat. Mit der rechten Hand hält sie energisch eine knallgelbe Schaufel umfasst, als wenn sie sie nie mehr hergeben wollte. Ihr Gesichtsausdruck signalisiert sichtbar und untrüglich: „Jetzt garteln!“. Eine Plakattafel auf dem Bürgersteig hinter der älteren Dame verkündet denn auch passenderweise „Mehr Spaß im Beet“.
Jetzt ist die Ampel rot und ein weinrotes, metallisch glänzendes Hybridauto kommt zum Stehen. Durch die geschlossenen Scheiben tönt die geschäftsmäßige Berliner Schnauze der Fahrerin, die wohl im Inneren über eine Freisprechanlage verfügt, von deren Existenz sie die Welt hier im Kreuzungsbereich in Kenntnis setzt. „Dann jeh ick ma davon aus, dat ick det zahle.“ Aus den nahen Clubs wummern Technogeräusche.
Weiter hinein nach Mitte steht an der Brücke über die Spree ein Obdachloser. Der Einkaufswagen, den er mit sich führt, wird fast vollständig von einer voluminösen, grünen Zimmerpflanze ausgefüllt. Mit dem Rücken zur Straße steht der kleine Mann und besieht sich das träge Wasser. Auf seiner grauschwarzen, verschlissenen Jacke steht kunstvoll eingestickt: „Legend of 1989“. Ein paar Schritte weiter angelt einer und angelt und angelt. „Pull plug here!“ lautet ein sehr ordentliches Graffiti an einem Spreebogen. Die Räume dort stehen leer. HARRIET WOLFF