MLPD-Chef: Der Getreue
Stefan Engel, 53, mag Stalin und hasst Hartz IV. Der Schlosser führt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands seit ihrer Gründung an. Morgen feiert die MLPD 25. Jahrestag.
GELSENKIRCHEN taz Die Weltrevolution wird von Gelsenkirchen-Horst ausgehen. Sie wird angeführt werden von einem Mann mit schwarzweißem Vollbart und Bauchansatz. Er wird dann sagen können, als einer von ganz wenigen nie am Sieg des wahren Sozialismus gezweifelt zu haben. Derzeit sieht es zwar nicht so gut aus für seine Sache, aber das stört Stefan Engel nicht. Es hat ihn nie gestört.
1977: Der Arbeitersohn Stefan Engel zieht von Neustadt bei Coburg ins Ruhrgebiet. Dort möchte er die Proletarier zum Aufstand bewegen. Die jedoch begreifen sein Anliegen anfangs schon deshalb nicht, weil niemand im Gelsenkirchner Metallbetrieb den Dialekt des Süddeutschen versteht.
1982: Stefan Engel wird Gründer und Vorsitzender der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, der MLPD. Vom ersten Tag an ist er Mitglied im 14-köpfigen Zentralkomitee und damit Leitfigur der bundesweit 2.300 Mitglieder.
2007: Stefan Engel feiert sich und den 25. Geburtstag seiner Partei. Von morgen bis Samstag ist der Terminkalender voll: Festakt in Gelsenkirchen, Seminar in Essen, dann die große Jubiläumsfeier in Duisburg. Vierzig Delegationen aus vier Kontinenten haben ihr Kommen angekündigt.
Wo die Revolution beginnen könnte, zeigt der Schlosser wie jeden Montag in der Fußgängerzone von Gelsenkirchen. Zwischen McChicken und H & M kommen 40 Menschen zusammen, um gegen die da oben zu demonstrieren. Ein Mittfünfziger, Exbergmann mit aufgekrempelten Jackenärmeln, schreit ins bereitgestellte Mikro: "Die Bergleute ham Deutschland nachm Krieg hochearbeitet! Heute setzt man se auffe Straße!" Die 149. Gelsenkirchener Montagsdemonstration verläuft wie immer.
Routiniert ergreift Stefan Engel, rote Jacke, Hand in der Hosentasche, das Mikro: "Heute gibt es in Deutschland laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung mehr als 7,7 Millionen Menschen, die nicht mehr von ihrer eigener Hände Arbeit leben können", sagt er. Das ist es, was den Frauen und Männern hier gefehlt hat: Zahlen, Fakten, die ihrer ziellosen Wut eine Form geben. Stefan Engel, der Mann am Mikro, ist ihr Anführer. Seine Stimme klingt ganz anders als die seiner Mitstreiter, auch nach 30 Jahren im Ruhrgebiet hat sie ihre süddeutsche Färbung behalten, eine Mischung aus Fränkisch und Thüringisch. Engels Heimat Neustadt lag an der innerdeutschen Grenze, und wer ihm zuhört, könnte meinen, der Herrscher der Gelsenkirchener Dauerdemo lebe bis heute in einem weltanschaulichen Zonenrandgebiet.
Fast sein gesamtes bisheriges Leben hat der heute 53-Jährige in dieser Nische verbracht. Schon in den späten 60er Jahren war er Funktionär in kleinen, radikal linken Gruppen. Mit Mitte zwanzig baute er den maoistisch orientierten Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) mit auf, ein Auffangbecken für KPD- und DKP-Mitglieder. Vor dreißig Jahren zog er ins Ruhrgebiet, das damals noch zu Recht Ruhrpott hieß. Und dann war es so weit. Nach langem Hin und Her entstand die Partei mit dem großen Namen und den wenigen Mitgliedern, deren Chef Stefan Engel seit Anbeginn ist: die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, die MLPD.
Umstürzler und Poet
Im Sommer 1982, bevor Helmut Kohl Kanzler wurde, war Stefan Engel Vorsitzender der "revolutionären Partei mit Zukunft". Die Führung heißt tatsächlich Zentralkomitee und residiert in Gelsenkirchen. Die Partei und ihre geschätzten 2.300 Mitglieder bieten seit 25 Jahren alles, was der Exilbayer zum Leben braucht: Familie, Arbeit, Freizeit.
Mit seiner Exfrau Monika Gärtner-Engel, einer übers ganze Gesicht lächelnden 55-Jährigen, marschiert der Marxist-Leninist auch nach ihrer Trennung jeden Montag durch die Fußgängerzone. Die beiden haben drei Töchter miteinander. Die selbst erklärte Lebensberaterin ist natürlich auch in der Partei, sie ist sogar ihr ganzer Stolz, seit sie vor drei Jahren über ein buntes Bündnis einen Stadtratsposten errungen hat. "Monika und ich haben einen kameradschaftlichen Umgang", sagt ihr Exmann und Parteichef. Er hält ein Transparent hoch, darauf steht "MLPD - Arbeitsplätze schaffen - jetzt 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!" Bevor die Demo endet, ergreift Engel noch einmal das Wort. Bei den Teilnehmern gilt es etwas.
Heute geht es ihm um Kurt Becks Vorschlag eines "Deutschlandfonds" - Arbeitnehmer könnten Miteigentümer des Unternehmens werden können, für das sie arbeiten. "Das", doziert Engel, "ist eine alte Frage, die hat schon Karl Marx aufgeworfen." Mit fester Stimme sagt er dann: "Den Kapitalismus kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sich Anteile kauft, sondern indem man ihn abschafft." Die Umstehenden beklatschen den Aufruf zur Revolte, dann gehen sie nach Hause.
Der Mann mit dem verbindlichen Auftreten eines SPD-Ortsvereinsvorsitzenden begreift sich als Umstürzler - und als Poet. Vor zehn Jahren hat er das Gedicht "Drei Weisheiten im Leben des Revolutionärs" verfasst, in dem heißt es: "Über jeder Entscheidungsschlacht / steigen Nebelschwaden von Problemen und Schwierigkeiten auf / bevor sie von der Sonne rücksichtslos zerfetzt werden / und der neue Tag die Nacht besiegt." Diese Nacht des Kapitalismus dauert bekanntlich schon lange, aber Engel hat die Hoffnung auf Erlösung durch den Sozialismus nie aufgegeben. Wie könnte er, jetzt, wo er so weit gekommen ist?
Immerhin hat er es zu einem dunkelbraun getäfelten Büro in einer Parteizentrale gebracht, die nicht zufällig aussieht wie eine Polizeidienststelle oder Sparkassenfiliale. Denn beides gab es hier einmal. Gegen starke Widerstände hat die MLPD vor ein paar Jahren das Backsteingebäude gekauft. Erst zogen die Banker aus, zuletzt die Polizisten. Das ist eine der Merkwürdigkeiten im Leben des Stefan Engel: Während Nordrhein-Westfalens Verfassungsschutz seine Partei beobachtet, kehrt die Polizei ihr den Rücken. "Die hätten ruhig bleiben können", sagt Engel in seinem Büro. Woher das Geld fürs Haus kam, will er nicht sagen. Zwei Millionenspenden eines treuen Mitglieds, das sein elterliches Erbe schenkte, mögen eine Rolle gespielt haben. Trotzdem hat der Chef der Marxisten-Leninisten nichts gegen zahlende Mieter, auch nichts gegen Öffentlichkeit. Bei Gelegenheit lädt er die zu agitierenden Massen schon mal zum Straßenfest.
Nachbarschaftsglück und Weltrevolution, wie geht das zusammen bei Stefan Engel? Wie behält einer den Glauben an seine Mission, wenn das große Vorbild UdSSR untergegangen ist und sich Chinas Kommunisten zu Kapitalisten wandeln? Wenn die Zahl der Parteimitglieder seit einem Vierteljahrhundert bei 2.300 dümpelt?
In seinem Vorsitzendenbüro scheinen diese Fragen weit weg. Die Marx-Lenin-Doppelbüste auf dem Schreibtisch erinnert daran, dass hier kein Sparkassenfilialleiter arbeitet. Über seinem Schreibtisch hängt ein Foto des 1992 verstorbenen Willi Dickhut - Ex-KPDler, mürrischer Mentor der MLPD und Schlosser wie sein politischer Ziehsohn.
Über Filterkaffee und Kaffeeweißer hinweg erklärt Engel: "Ich habe nie gezweifelt." Es klingt, als meine er es ernst. Wird er die Revolution noch erleben? "Man sieht ja, dass der Kapitalismus große Probleme hat. Die Sehnsucht nach einem Ausweg wird unter den Menschen immer stärker." Das stehe auch in seinem Buch "Götterdämmerung über der 'neuen Weltordnung'", 592 Seiten dick, 27 Euro teuer und voller Hoffnung auf den großen Knall.
Als abgehobener Denker will der Mann mit der Mittleren Reife nicht gelten, das widerspräche seinen Prinzipien: "Die MLPD ist eher eine Partei der Arbeiter, nicht der Intellektuellen. Die haben nicht so einen langen Atem." In seinem Gedicht klingt das so: "Es gibt für den proletarischen Revolutionär / keine ausweglose Situation." Damit ist womöglich das regelmäßig dürftige Abschneiden seiner Partei gemeint. Bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren votierten 45.000 Menschen für die MLPD, 0,2 Prozent der Stimmen.
Terror und Schweigen
Das war im Jahr eins nach Hartz IV, die PDS feierte ihr Comeback als Heimat enttäuschter Linker. Warum fiel nichts für Engels MLPD ab? Vielleicht hat das mit etwas Unerhörtem zu tun. Bis heute gehört zum Glaubensbekenntnis der Partei, dass der wahre Sozialismus 1956 durch Unterwanderung zugrunde gegangen sei. Ausgerechnet in jenem Jahr, als der gemäßigte Nikita Chruschtschow aus den Wirren nach Stalins Tod als Sieger hervorging. Wie schafft es Engel, das Hohelied der Menschenwürde zu singen, aber bis heute über Stalins Terror zu schweigen?
Der Vorsitzende kennt diese Frage. "Die Erfahrungen aus der Sowjetunion von damals", sagt Engel nach einem Seufzen, "lassen sich nicht eins zu eins auf heute übertragen. Aber wir verteidigen, was wir für richtig halten." Und dann sagt er Sätze, die nicht passen zur heimeligen Holzverkleidung: "Stalin hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er den Sozialismus verteidigt hat. Gut", sagt Engel und neigt den Kopf, als wäge er etwas ab, "er hat nicht immer die feine Art gehabt. Aber wir meinen, dass das Sozialismus war, und kein 'Linksfaschismus', wie das in der Propaganda behauptet wird."
Lange, sehr lange redet Engel noch von "Fünften Kolonnen" ehemaliger KZ-Insassen, die die Nazis zur Unterwanderung in die Sowjetunion geschickt hätten. Von "panischen Reaktionen" Moskaus in Form von Massenverurteilungen und Menschenverschickungen in Arbeitslager. Und dass man doch nicht für alles, was damals geschah, Stalin persönlich verantwortlich machen könne. Der Kaffee wird kalt.
Stalinismus war also Sozialismus. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal wirbt Engel seit 25 Jahren für sein Produkt, die MLPD. Er scheint nicht bemerkt zu haben, dass der Markt hierfür vor geraumer Zeit eingebrochen ist, mit geringer Chance auf Erholung.
Aber vielleicht ahnt Stefan Engel, dass er auch das kommende Vierteljahrhundert im Zonenrandgebiet der Ideologie fristen wird. Zumindest schlummert diese Einsicht tief vergraben in seinem Gedicht. "Es gibt für den proletarischen Revolutionär / keine ausweglose Situation", schreibt er da. "Es gibt nur das Unvermögen und die Inkonsequenz / die Waffen der Revolution richtig zu gebrauchen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten