MIT DEM KONZEPT ZUR NACHHALTIGKEIT SETZT SICH ROT-GRÜN UNTER DRUCK: Totgelobte leben länger
Am Entwurf der Bundesregierung für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie gibt es viel zu meckern: Er ist im Hauruckverfahren ohne die breite Diskussion entstanden, die in Rio gefordert wurde; die Legislaturperiode ist beinahe vorbei, für die der Bericht Vorgaben machen könnte; die aktuelle Politik der rot-grünen Bundesregierung bei Energie, Verkehr und Landwirtschaft ist weit davon entfernt, die Interessen der nächsten Generationen zu berücksichtigen. Und niemand nimmt ernsthaft an, dass die Ziele wie die Reduzierung des Flächenfraßes oder der Klimagase so erreicht werden, wie sie nun auf dem Papier stehen. Und dabei sind viele Ziele sowieso schon nicht besonders ehrgeizig: Die vom Bundestag geforderte Drosselung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 steht nicht in der Strategie, weil sie Wirtschaftsminister Werner Müller nicht passt.
Und trotzdem ist die Strategie ein wichtiger Schritt. Immerhin formuliert zum ersten Mal eine Bundesregierung, wie ihre nachhaltige Politik aussehen müsste, und schließt dabei die oft vernachlässigten Aspekte Bildung und Soziales ein. Und wenn ein umstrittenes Konzept erst einmal gedruckt und gebunden vorliegt, gewinnt die Diskussion deutlich an Schärfe und Tiefe. Das zeigt etwa die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“, mit dem BUND und Misereor die Debatte um eine ökologische Modernisierung Deutschlands vor einigen Jahren weit voranbrachten.
Vor allem aber wird die Nachhaltigkeitsstrategie Eigendynamik entwickeln: Auch andere Goodwill-Aktionen waren später in ihrer politischen Wirkung nicht mehr zu bremsen. Damit hat Schröder bereits Erfahrung: Seitdem er erklärt hat, er werde sich an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen, wird er – sehr zu seinem Ärger – beim Wort genommen. Ebenso wird sich jede rot-grüne Regierung künftig auf ihre Entwicklungsziele festnageln lassen müssen. Natürlich gehört die Nachhaltigkeitsstrategie zur literarischen Kategorie der Sonntagsrede. Gerade deshalb aber kann man sie im Zweifel den Politikern von Montag bis Freitag um die Ohren hauen. BERNHARD PÖTTER
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