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MILITÄREINSÄTZE ERSCHÜTTERN DEN GESAMTEN NAHEN OSTENDer Feind Israels heißt Scharon

Israels Premier Ariel Scharon hat ganz bewusst eine Lawine der Gewalt im Nahen Osten ausgelöst. Zum einen soll damit die „Infrastruktur des Terrorismus“ zerstört werden. Zum anderen soll dadurch in Israel wieder Sicherheit einkehren. Was der israelische Premier unter Terrorbekämpfung versteht, das ist nicht anderes als die Zerstörung der palästinensischen Autonomiebehörde, die blutige Zerschlagung der Intifada und die Restauration der Besatzung im Westjordanland wie auch im Gaza-Streifen. Ein palästinensischer Staat soll hier mit aller Macht im Keim erstickt werden. Was anschließend politisch kommt, das sagt und das weiß auch der Exgeneral Scharon nicht. Zu sehr ist er damit beschäftigt, den Palästinenserpräsidenten – „den Feind Israels“ – und das palästinensische Volk mit aller Macht und vor aller Welt zu demütigen und zu quälen. Scharon wartet nur auf den geeigneten Augenblick, um Jassir Arafat loszuwerden – egal ob tot oder lebendig. Für seine Vorgehensweise hat Scharon offenbar die volle Rückendeckung der US-Administration unter George W. Bush. Sie gab deutlich grünes Licht für den laufenden Krieg in den besetzten Gebieten. Der Nahostkonflikt erreicht damit eine neue Qualität mit ernsten Konsequenzen in der Region und der übrigen Welt.

Die Zerstörung der palästinensischen Autonomiebehörde und ihre Entmachtung werfen den israelisch-palästinensischen Konflikt auf den Stand der 70er-Jahre zurück. Es wird sehr lange dauern, bis die Palästinenser eine neue integrative politische Führungsfigur wie Jassir Arafat finden. Den Palästinensern droht eine politische Zerrissenheit und eine Radikalisierung, die dann erst recht zu einem endlosen Krieg gegen die Israelis führen wird. Daran wird die israelische Besetzung der Autonomiegebiete nichts ändern und auch nicht die äußerste Gewaltanwendung.

Die Fortsetzung der israelischen Politik der Stärke und die Ablehnung der Friedensangebote aus der arabischen Welt haben zu einer beispiellosen antiisraelischen Mobilisierung in der arabischen Öffentlichkeit vom Atlantik bis zum Persischen Golf geführt. Besonders in Ägypten und Jordanien, die Friedensverträge mit Israel geschlossen haben, stehen die Machthaber unter dem starken Druck der Massen, die eine Solidarisierung mit den Palästinensern fordern.

Akut wird damit auch die Gefahr eines Zusammenbruchs dieser Regime. Sie sind politisch kaum mehr manövrierfähig. Sie müssen entweder auf die israelische Herausforderung politisch und militärisch adäquat reagieren – oder sie müssen gehen. Demzufolge ist die Kriegsgefahr im ganzen Nahen Osten größer denn je. Die Idee des friedlichen Zusammenlebens von Arabern und Israelis, die in den letzten Jahrzehnten beachtliche Überzeugungskraft in der Region gewann, ist heute schwer beschädigt. Die Fortsetzung der israelischen Aktionen in den palästinensischen Gebieten treibt den ohnehin in der Region verbreiteten Antiamerikanismus weiter in die Höhe. Die einseitige, bedingungslose Unterstützung der Unterdrückungspolitik Scharons vonseiten der US-Administration ist Wasser auf die Mühlen der Radikalen in der arabischen und in der islamischen Welt. Sie destabilisiert die internationalen Front gegen den Terrorismus und führt darüber hinaus in den Augen der arabischen Welt zur Diskreditierung der USA als Vermittler im israelisch-arabischen Konflikt. Deshalb sind unter den jetzigen Bedingungen die politischen Bemühungen der Europäischen Union um einen sofortigen Stopp der israelischen Militäraktionen unbedingt notwendig. Die israelische Armee muss unverzüglich die besetzten Gebiete räumen. Das palästinensische Volk braucht eine internationale Schutztruppe, die die durch Israel zerstörten Autonomie-Institutionen ersetzt und die Bevölkerung vor israelischer Gewalt schützt. An einer Lösung im Sinne eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Hauptstadt Ostjerusalem führt kein Weg vorbei. Eine solche Lösung ist nur im Rahmen einer internationalen Friedenskonferenz und aufgrund aller UNO-Resolutionen möglich. Ob diese Maßnahmen die Eskalation im Nahen Osten noch stoppen können, ist fraglich. Die Zeit drängt. Sonst droht die von Scharon ausgelöste Gewaltlawine mit ihren fatalen Folgen auch Europa und die übrige Welt zu erfassen.

ABDEL MOTTALEB HUSSEINI

Der Autor ist freier Journalist aus dem Libanon und lebt in der Eifel.

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