MGMT-Konzert in Berlin: Zwei Collegekids wollen mehr
Mit Riesenteddybären, Cembalo-Sounds und Twingy-twangy-Gitarrenlicks wird das einzige Deutschlandkonzert der US-Band im Berliner Columbiaclub gefeiert.
"Sonnenschein macht müde", sagt eine höchstens 20-Jährige zu ihrer Freundin. Im nächsten Moment schwenkt sie ihre beide ausgestreckten Arme wie Scheibenwischer im Takt von "Kids", einem der Hits vom Debütalbum der US-Band MGMT.
Süßer Vogel Jugend: Als "Oracular Spectacular" 2008 aus dem Nichts erschien, waren die beiden Musiker Ben Goldwasser und Andrew VanWyngarden auch erst knapp 20. Sie hatten Kunst am Wesleyan College in Connecticut studiert und einige ihrer Performance-Ideen mit Musik unterfüttert. So geht die Sage. Andere vor ihnen kreuzten auch schon die Sixties mit den Eighties. Aber MGMT haben die besseren Keyboardhooklines: Ben Goldwasser fährt mit seinen Bubblegum-Synthies Slalom durch blinkende Lichtorgeln. Die LSD-im-Trinkwasser-Stimme VanWyngardens singt, seine Texte feiern die eigene Jugend, stecken aber auch voller Zweifel und je ne sais quoi. Sarkastisch, zukunftsangstlos, saufrech.
Auf einem Albumfoto sind die beiden Musiker zu sehen, wie sie - Hommage an KLF - Geld verbrennen. Hilft nichts: Gleich vier MGMT-Songs werden Radiohymnen und Internet-Clickmonster. Auch das Album beherrscht im Popsommer 2008 die medialen Jukeboxen. Zwei verpeilte Collegekids marschieren durch alle Kanäle. Goldwasser, kurze schwarze Haare, Nutty-Professor-Brille und der nuschelnde Wuschelkopf VanWyngarden haben die Gesten und die Chuzpe, die es braucht, um beim "So zu tun, als ob" über die Ziellinie zu kommen. Sagt auch schon ihr Bandname: MGMT, das Wort Management ohne Vokale. Irgendwie steckt in diesem Konzept ein Meta-Riecher. Geschäftssinn in einer Welt, die unbezahlte Praktika und Talenteausbeutung forciert. Pop braucht mehr Panzerknacker wie MGMT.
Wer nun denkt, der Berliner Columbiaclub hätte die Bühne für abgezockte Showbiz-Gymnastik bereitet, sieht sich getäuscht. MGMT mischen ihre Hits mit Songs des in Kürze erscheinenden zweiten Albums "Congratulations". Bei den Hits wie "Electric Feel" bricht überschwänglicher Jubel aus, sogar Riesenteddybären werden vor der Bühne hochgehalten. VanWnyngardens Ansagen gehen im Kreischen unter.
Ein Wunder, dass auf der Bühne überhaupt Kohärenz entsteht. Die von "Oracular Spectacular" überlieferte Tanzbarkeit und ihre elektrisch aufgeladenen Emotionen haben MGMT zugunsten von löschblattdünner Sixties-Harmonik aufgelöst. "I found a whistle" heißt das Auftaktlied. Wie in dem Comic "Herr Rossi sucht das Glück" betätigt die Band diese Pfeife und geht, zum Quintett erweitert, auf Zeitreise zum viktorianischen Psychedelikpop. Alles Marktschreierische ihres Debüts machen sie damit zwar nicht vergessen, aber die Abkehr ist erst mal grundsympathisch. Goldwasser und VanWyngarden ahnen, dass sie ihren Durchmarsch nicht werden wiederholen können.
Stattdessen lassen sie, im Mainstream angekommen, Cembalo-Sounds und Twingy-twangy-Gitarrenlicks hören. Widmen ihren Idolen Dan Treacy (TV Personalities) und Brian Eno Songs. Singen von okkulten Begebenheiten in alten Kathedralen und angeturnten Landpartien. Höhepunkt des Konzerts ist ein zwölfminütiges Ungetüm namens "Siberian Breaks", bei dem man um Jahre altert, so viel Wissen steckt da drin.
MGMT spielen diszipliniert, manchmal zu nah am Text und zu brav für das, was sie nun vorgeben zu sein. Das Publikum ist unschlüssig, schreit nach den Hits und quittiert die Songs von "Congratulations" mit höflichem Applaus. Nach dem Konzert stürmen zwei Mädchen zum Merchandising-Stand. Beide tragen Stoffumhängetaschen mit dem Slogan "Kauf nix".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren