MARTIN KAUL ÜBER DIE NEUESTEN ENTHÜLLUNGEN ZUR NSA-ÜBERWACHUNG: Die haben Humor
Eine gute Pointe kommt ja gemeinhin von hinten. Sie ist nicht zu aufdringlich und lädt zum Grübeln ein. Mit ihren neuesten Veröffentlichungen ist der Enthüllungsplattform Wikileaks eine solche Pointe geglückt.
Ein überwachter Oskar Lafontaine, aufgezeichnete Telefonprotokolle von Angela Merkel – das allein ist ja noch nicht lustig. Durchaus tiefgründig ist allerdings die Politik, mit der Wikileaks ihre neuen Enthüllungen platziert.
Erst vor einigen Tagen hatte die Organisation um den umstrittenen Julian Assange und die Juristin Sarah Harrison in Frankreich ein geschicktes Zeitfenster gewählt: Just am Vorabend einer Gesetzesabstimmung in Frankreich belegte Wikileaks, dass Frankreichs Regierungsspitze unter Präsident François Hollande von der National Security Agency (NSA) über viele Jahre massiv ausgespäht wurde.
Die Folge war durchaus amüsant: Zwar erregten sich führende französische Politiker in beeindruckender Weise über die Spähangriffe, noch am gleichen Tag stimmten sie in Paris allerdings neuen Sicherheitsgesetzen zu, die den eigenen Geheimdiensten eine Massenüberwachung auch der eigenen Bevölkerung erlauben.
Mit der gewieften Platzierung gelang es Wikileaks, die paradoxe – nein, sagen wir besser die verlogene – Haltung der politischen Spitze in Frankreich vorzuführen.
Dass die neuen Details zur Überwachung in Deutschland just am Mittwochabend veröffentlicht wurden, ist ebenfalls kein Zufall. Einige Stunden später, am Donnerstag, sollte der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen. Er hatte, das ist soweit ein Kalauer, seinerzeit die NSA-Affäre für beendet erklärt.
Dass Ronald Pofalla am Donnerstag vor dem Ausschuss des Bundestages die Gelegenheit hatte, dies noch einmal auf Basis detaillierter Kenntnisse vor der Öffentlichkeit zu erörtern, ist kein grober Witz – sondern eine sehr feine Pointe. Mit anderen Worten: Wikileaks hat durchaus auch Humor.
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