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MANN IM BEET

■ „Berlin - Anfang der 70er“ - eine Fotoausstellung von Gert Frost

Eine Kneipe in der Schillerstraße, in einem Teil der Straße, der frischweg renoviert ist mit der das Gemüt hebenden Farbe nach einer Strecke Nachkriegsfassade, beziehungsweise deren Bereinigung durch Neubau. Vor der Kneipe, auf Katzenkopfpflaster Biertische, Klappstühle, umstellt von Kleinbirken in Plastikeimern. Wir um 30 blättern in der taz, meckern mit den Kindern und trinken Weizenbier. Drinnen hat sich die Kneipenatmosphäre der 70er gehalten: Brauntöne an der Wand, viel Holz im Raum, Tische und Stühle rustikal, Spots werfen unregelmäßig Licht. Ein unbekannter Künstler hat zur Not auch mal auf Abrechnungszettel die Gäste portraitiert, jetzt hängen sie neben der Theke. Vom Fenster her winkt Werner oder was, und im Hinterzimmer steht ein Billardtisch. Der richtige Ort für eine Fotoausstellung über die frühen 70er Jahre.

Die Fotos hängen über dem Dauerschmuck der Kneipe - also zu hoch. Selbst für mich, nicht gerade klein von Wuchs, war die oberste Reihe nicht mehr genau ins Auge zu nehmen. Den wenigsten Bildern sind die 70er anzusehen: Hinterhofbilder, Wände, die sich zur Enge zusammenschieben, Sonnenlicht nur in den obersten Mauerwinkeln; Berlin am Morgen, menschenleere Straßen, ein spitzwinkliges Eckhaus, daß sich wie ein Schlachtschiff ins Pflaster schiebt; eine unterirdische Passage, Neonbeleuchtung auf dem aufgeklappten Gitarrenkoffer eines Straßenmusikanten; ein Mann, in einem einbetonierten Blumenbeet liegend, neben den Füßen eine Plastiktasche: Bilder aus dem Normalblick der Sozialreportage, wie sie täglich schnappgeschossen werden in Schwarz-Weiß.

Ab und an tauchen dann doch die 70er auf: rote Fahnen an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche; das Hippie-Outfit eines Straßenhändlers: Felljacke mit speckigem Leder und Stickereien darauf; eine Männergruppe in Badehose und mit forschen Koteletten. Das waren diese Tage, auf die der Fotograf Gert Frost zurückblickt.

Jetzt hüpfen die Kinder um die Biertische, bespritzen Gäste mit Wasser, das aus der Linse einer Spielkamera kommt und bekommen dafür eins hinter die Löffel angedroht von dem Mann, der sich hinter der Zeitung versteckt hatte. Aus dem geöffneten Fenster dröhnt Roger Chapman. Ein guter Ort für eine Ausstellung mit Fotos aus den 70ern.

höttges

„Berlin - Anfang der 70er“ in „Kabale“, Schillerstraße34, Charlottenburg.

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