Lungenarzt und Rechenfehler: Irrungen und Wirrungen
Mit neuen Äußerungen zeigt Dieter Köhler zunehmenden Realitätsverlust: Mit Fakten hat seine jüngste Erklärung nicht viel zu tun.
Eigentlich hatte ich ja gehofft, mich nach einer Woche mal wieder mit etwas anderem beschäftigen zu können als mit dem pensionierten Lungenarzt Dr. Dieter Köhler. Und keinesfalls sehe ich es als meine Aufgabe, von nun an jede weitere seiner Äußerungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Doch in seiner jüngsten Pressemitteilung vom Sonntag entfernt sich der Initiator der berühmten Lungenarzt-Stellungnahme gegen die Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte so weit von der Realität, dass doch noch mal eine kurze Einordnung geboten scheint.
Beim Feinstaub (um den es in den aktuellen Fahrverboten übrigens gar nicht geht) sieht Köhler die „Aussagen der Stellungnahme in vollem Umfang bestätigt“, schreibt er in seiner Pressemitteilung. Schon das verwundert ein wenig, denn in einer am 14. Februar hinzugefügten „Ergänzung“ hat Köhler die ursprüngliche Stellungnahme online an mehreren Stellen korrigiert.
Die Feinstaubkonzentration im Zigarettenrauch hat er von „100–500 g/m³“ verändert zu „25 g/m³“. Der Vergleichsfaktor zum Feinstaubgrenzwert wurde von „1 Million Mal“ zu „eine halbe Million Mal“ korrigiert. Das Ergebnis der Vergleichsrechnung bleibt (wie die taz auch berichtet hatte) trotzdem in der gleichen Größenordnung. Statt „weniger als zwei Monate“ sind es laut Köhler nun „2,1 Monate“, die man eine Schachtel pro Tag rauchen müsste, um genauso viel Feinstaub aufzunehmen wie in 80 Jahren aus der Außenluft. (Der Unterschied zum in der taz genannten Wert von 2,4 Monaten liegt übrigens daran, dass Köhler bei seiner neuen Rechnung nicht nur den Feinstaubwert verändert hat, sondern auch die Luftmenge, die ein Mensch am Tag atmet – von den zuvor von ihm per Mail angegebenen 10.000 auf 9.000 Liter am Tag.)
Noch weitaus unverständlicher sind die neuen Aussagen zum Thema Stickoxid. Dazu erklärt Köhler nun, es sei „in den Aussagen der Stellungnahme keine Korrektur vonnöten“. Das überrascht, weil er auch hier die ursprüngliche Aussage in seiner „Ergänzung“ bereits korrigiert hat: Beim Stickoxid-Vergleich wurde „etwas geringer“ durch „entsprechend 25x geringer“ ersetzt – was Köhlers Fehler nur zum Teil beseitigt, aber ja schon eine erhebliche Veränderung ist.
Köhler weist sein eigenes Kernargument zurück
Besonders erstaunlich ist aber Köhlers folgender Satz, mit dem er begründet, warum keine Korrektur nötig ist: „Da NOx als Gas im Organismus als Naturstoff in den Stickstoffkreislauf eingebunden wird, ist die Berechnung einer kumulativen Dosis, wie von der TAZ ausgeführt, unsinnig.“ Soll heißen: Das lebenslang eingeatmete Stickoxid zu addieren, um es dann mit der beim Rauchen aufgenommenen Menge zu vergleichen, ergibt keinen Sinn.
Aber auf die Idee, das zu tun, ist natürlich nicht die taz gekommen, wie Köhler nahezulegen scheint. Sondern dieser Vergleich ist der Kern von Köhlers Argument. Es findet sich nicht nur in seinen Interviews und Vorträgen, sondern eben explizit auch in der Stellungnahme – eingeleitet mit den Worten, der Vergleich mit den Rauchern sei „das stärkste Argument“ gegen die Grenzwerte.
Köhler negiert also nachträglich seine bereits eingeräumten Fehler und leugnet seine früheren Aussagen. Das macht eine inhaltliche Auseinandersetzung praktisch unmöglich. Denn so sehr man über die Interpretation der Fakten streiten kann – man kann nicht die Tatsachen selbst so anpassen, dass sie zur eigenen Argumentation passen.
Leider ist Köhler mit diesem Umgang nicht allein. CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer hat die Einschätzungen von Köhler sogar zur Grundlage seiner Politik gemacht – obwohl nur ein Bruchteil der von Köhler angeschriebenen Ärzte dessen Papier unterzeichnet hatte, Köhler selbst nie wissenschaftlich zu Stickoxid publiziert hat und die tatsächlich zum Thema arbeitenden ForscherInnen seine Argumentation von Anfang an als absurd bezeichneten.
Auch nach Bekanntwerden von Köhlers Fehlern heißt es aus Scheuers Ministerium unverändert, dessen Berechnungen hätten „einen Impuls zur Debatte über die europäischen NOx-Grenzwerte gesetzt“. Ob ein Argument stimmt, ist offenbar weniger wichtig als die Tatsache, dass es nützt.
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