Luftverschmutzung auf dem Balkan: Dreckiger als Delhi
Belgrad gilt als die Stadt mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung. Der gesamte Balkan leidet unter Feinstaub. Gründe: Armut und die Kohle.
Als Belgrad in den vergangenen Wochen laut der schweizerischen Website IQAir die Stadt mit der schlechtesten Luft weltweit war – noch vor Delhi, Dubai und Peking –, fiel das Atmen besonders schwer. Die Luft sei „ungesund“, hieß es, bestimmte Feinstaubpartikel würden den Richtwert der Weltgesundheitsorganisation WHO von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter um das 15-fache übersteigen.
Zwar sind die Ranglisten von IQAir mit Vorsicht zu genießen, denn wegen der unterschiedlichen Messverfahren lassen sich Städte nur schwer vergleichen. Die Luft in Belgrad ist dennoch einfach fühlbar schlecht: Immer wieder leiden die etwa 1,7 Millionen Einwohner:innen vor allem in den kälteren Monaten unter der massiven Verschmutzung.
Es ist ein Problem vieler Städte in der Region. Laut einem Bericht des UNO-Umweltprogramms Unep von 2019 ist die Konzentration von Feinstaub auf dem westliche Balkan im europäischen Vergleich besonders hoch. Die Belastungen seien bis zu fünfmal höher, als sie laut nationalen und EU-Vorgaben sein sollten. Die WHO-Richtwerte sind noch strenger.
Spitzenreiter Sarajevo
Regelmäßiger Spitzenreiter ist sonst die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit ihrer Kessellage zwischen Hügeln. Sogar im für Öko-Tourismus bekannten Staat Montenegro gibt es einen Witz: Kommt ein Bewohner aus Pljevlja, einer der meistverschmutzten Städte Montenegros, in den Nationalpark Lovćen. Als er aus dem Bus steigt, wird ihm schlecht, er fällt in Ohnmacht. Der Busfahrer sagt: „Schnell, legt ihn unter den Auspuff, damit er zu sich kommt!“
Laut Unep gibt es mehrere Gründe für diese Misere. Neben der Topografie sind vor allem die minderwertigen Brennstoffe schuld, die in Kohlekraftwerken verwendet werden. 88 Prozent der Haushalte nutzen zudem dezentrale Heizsysteme wie Öfen und reine Heizkessel, über 60 Prozent verwenden Kohle oder Holz zum Heizen und Kochen.
Wer an kalten Tagen etwa durch die nordmazedonische Kleinstadt Tetovo spazieren geht, merkt sofort den penetranten Kohlegeruch in die Nase. Hinzu kommt eine Industrie mit völlig veralteter Technik, die etwa serbische Städte wie Valjevo und Užice verpestet. Uralt-Fahrzeuge im Straßenverkehr tun ihr Übriges.
Und auch Armut verpestet die Luft. Gerade jetzt, wo die Inflation auch in Serbien anzieht, verbrennen die Menschen alles, was sie finden können – von Klamotten bis zu Autoreifen. In den Stadtwäldern sammeln sie Holz. Plastik ist beliebt, weil es besonders lange brennt.
Schädlich für Lunge und Blutkreislauf
Bei all diesen Vorgängen wird gefährlicher Feinstaub freigesetzt, der als größtes Umweltgesundheitsrisiko in Europa gilt. Laut WHO sind die Kleinstpartikel PM 2.5 und PM 10 besonders schädlich für Menschen. Dabei geht es um Feinstaub mit einem Durchmesser, der kleiner als 2,5 beziehungsweise 10 Mikrometer ist. So können die PM-2.5-Partikel bis in die Bronchien, Lungenbläschen und den Blutkreislauf vordringen und dadurch Schlaganfälle, Herzerkrankungen, Lungenkrebs und Atemwegserkrankungen verursachen.
Auf dem Balkan sterben laut dem Unep-Bericht jedes Jahr rund 5.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Serbien ist mit 1.004 Toten trauriger Spitzenreiter. Damit verkürzt sich die Lebenszeit in der Region um 0,4 bis 1,3 Jahre. Das klingt nicht nach viel. Doch zum Vergleich: In Deutschland sank seit der Coronapandemie die Lebenserwartung um 0,6 Jahre für Jungen und 0,4 Jahre für Mädchen. In den 19 untersuchten Städten des Westbalkans war die Luftverschmutzung laut Unep für einen von fünf frühzeitigen Toden verantwortlich.
Die Website IQAir empfiehlt den Belgrader:innen an den besonders stickigen Tagen, nur wenig Zeit draußen zu verbringen, die Fenster zu schließen und eine Maske zu tragen. Doch mit Maske ist an dem Tag, als die Stadt Spitzenreiter war, niemand unterwegs.
„Das ist immer so, wenn der Herbst kommt“, sagt die Frau am Kiosk, die den ganzen Tag draußen direkt an der Straße arbeitet. In Belgrad trägt neben dem Heizen auch der Verkehr zur miesen Luft bei. Die Metropole muss ohne S- oder U-Bahnen auskommen. Dafür schieben sich vollgestopfte Busse durch vollgestopfte Straßen.
Anpassung an EU-Umweltstandards
Für die Menschen in Belgrad und anderen Städten der Region sind die Rekordmeldungen traurige Normalität. Serbische Regierungsvertreter:innen der Partei SNS tun Warnungen von Expert:innen als „übertriebene Panikmache“ ab. Goran Trivan, bis 2020 Umweltminister, sagte während seiner Amtszeit, Luftverschmutzung sei lediglich ein „subjektives Empfinden“.
Dabei müssten sich die Länder im Rahmen des EU-Erweiterungsprozesses – Serbien ist seit 2012 Beitrittskandidat – an EU-Umweltstandards anpassen. Demnach müssen die Länder die Emissionen ihrer Kohlekraftwerke deutlich reduzieren. Daran arbeiten Serbien & Co bereits seit Jahren, doch bislang offensichtlich nur mit mäßigem Erfolg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“