Luc Bessons „Lucy“: Das blaue Wunder
In „Lucy“ mit Scarlett Johansson geht es ums große Ganze: Eine leicht verwirrte Frau gerät in die Fänge von Luc Bessons Einfallsreichtum.
Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, Luc Besson habe in seinem aktuellen Film „Lucy“ stark mit dem ganz großen Ganzen geschäkert. Das kann gut ausgehen, bei Besson aber ergab die Zusammenkunft eine Fantasterei, aus der schließlich Spinnerei wurde.
Hin und wieder scheint es allerdings, der Regisseur („Das fünfte Element“) sei sich über eine gewisse Abgeschmacktheit durchaus im Klaren gewesen – was wiederum die besseren Momente von „Lucy“ ausmacht. Anfangen muss man, natürlich, bei Scarlett Johansson. Die von ihr dargestellte Figur ist nicht nur verantwortlich für den eingängigen Filmtitel, Besson benutzt sie auch als Hülse für sein philosophisches Substanzenexperiment. Und als solche packt er auch einiges in sie hinein. Wortwörtlich. Aber von vorn.
Die ersten Minuten mit Lucy sind eigentlich die schönsten. Die letzte Nacht hat sie offenbar nicht schlafend verbracht, ihre blonden Haare sind ausgeblichen und strohig (tatsächlich wird sich an diesem herrlich desolatem Zustand nichts ändern), das Augen-Make-up hat sich Richtung Nasenrücken verkrümelt. Und die Klamotten, ja, die sind selbst für die Dunkelheit etwas zu grell geraten. Aber von wegen Dunkelheit: In Taipeh, wo Besson sie aussetzt und aufspürt, ist davon ohnehin nicht allzu viel zu spüren.
Lucy jedenfalls sieht aus wie eine, die schnell unter die Dusche und dann ins Bett gehört, was auch genau ihren Plänen entspricht. Wäre da nicht die Bekanntschaft Richard (Pilou Asbæk), der sie vor einem schmucken Hotel um einen „Gefallen“ bittet. Lucy will nicht, kommt aber nicht drumherum. Eine ambitionierte Szene, die Besson mit National-Geographic-Bildern parallel setzt: Löwe lauert auf Antilope, nähert sich, schlägt zu. Lucy ist nicht der Löwe.
„Lucy". Regie: Luc Besson. Mit Scarlett Johansson, Morgan Freeman u. a. USA, Frankreich 2014, 116 Min.
Ein Koffer voller Drogen
Es geht um einen ominösen Koffer, den sie überbringen soll. Als sie einem Herren an der Rezeption den Namen des Empfängers verrät (Mr. Jang), weicht diesem sogleich die Farbe aus dem Gesicht. Kein gutes Zeichen. Und dann schiebt sich Mr. Jang (Min-sik Choi) auch schon frisch beschmutzt mit fremdem Blut ins Bild. In der Hotelsuite, die Lucy anschließend betritt, tastet sich die Kamera vorsichtig über den Flur und entdeckt sogleich ein paar übereinandergestapelte Leichen in einem Nebenraum. Nein, tauschen möchte man mit Lucy ganz und gar nicht.
Nach ein paar spannenden Augenblicken ist klar: Im Koffer befinden sich Drogen. Säckchenweise blaues Granulat. Um zu überprüfen, ob es sich auch um die vermutete Substanz handelt, lässt der brutale Mr. Jang eine krude Gestalt aufrufen, die, nachdem sie ein paar Bröckchen konsumiert hat, völlig durchdreht. Also wird sie schnellstens abgeknallt, und nun hat auch Lucy ein bisschen Blut auf der Haut.
Das Zeug, das etwas lächerlich unter seiner Plastikfolie schimmert, entspricht also dem Gesuch von Mr. Jang. In Taipeh kann es allerdings nicht bleiben. Doch wie schmuggelt man die wertvollen Beutel außer Landes? Eingenäht im menschlichen Bauchraum. „Brauchst du einen Job?“, fragt Jang, und Lucys Antwort ist eigentlich zweitrangig, denn kurz darauf zieht sich schon ein großer Schnitt über ihren Körper.
Raum und Zeit verlieren an Bedeutung
Man ahnt: Es gibt bald Komplikationen. Und auch, dass es etwas mit den blauen Kristallen zu tun haben wird. Hier nun sollte „Lucy“ beginnen, sowohl der Film als auch die eigentliche Reise der Person Lucy. Komischerweise endet „Lucy“ an diesem Punkt jedoch (selbstverständlich folgen noch knapp eineinhalb Stunden mit Scarlett Johansson). Wohl auch, weil die leicht verwirrte Frau nun unglücklicherweise völlig in die Fänge von Luc Bessons Einfallsreichtum geraten ist.
Die Geschichte mutiert zu einer Aneinanderreihung von audiovisuell referierten Features, die Lucy mehr und mehr an sich bemerkt, seitdem die leuchtende Chemikalie Bestandteil ihres Blutkreislaufs ist. Lucy wird zur Bewusstseinserweiterung pur. Sie kann sich an alles erinnern, alles fühlen, alles sehen. Raum und Zeit verlieren an Bedeutung, die vermeintlich einschränkende zehnprozentige Nutzung des menschlichen Gehirns prescht aufs Unvorhersehbare, Unkontrollierbare. Was dann passiert, weiß noch nicht einmal Professor Norman (Morgan Freeman), obwohl der ein renommierter Biologe ist. Zehn Prozent, und was ist mit den restlichen neunzig?
Das ist die irgendwie gute und dann als Plot doch dürftige Frage, die Besson zum Inhalt von „Lucy“ macht. Sein Mittel: ein Count-up. So einfach wie schmal. Was philosophische Kaskade sein will, ist Zimmerbrunnen mit lila Glaskugeln. Und steht leider in einem ziemlichen Gegensatz zu Lucys gar nicht mal uninteressantem Trash-Charme.
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