: Lovely Fotos, lovely Alltag
■ Das Neue Museum Weserburg zeigt Fotografien von Linda McCartney
Glaubt man dem Nachrichtenmagazin Spiegel – und wer tut das nicht – wird Linda McCartney wohl als Witz in die Geschichte des nächsten Jahrtausends eingehen. Denn Paul McCartney plant, zur Erinnerung an seine 1998 verstorbene Frau ein Rennradler-Team namens „Linda McCartney“ zur Tour de France 2001 anzumelden. Die dafür vorgesehenen vierzehn Pedaltreter dürfen, dem vegetarischen Credo der McCartneys folgend, keine Fleischesser sein, um so beweisen zu können, dass Gemüse-Esser nicht zwangsläufig auch Weicheier sind. Und sie müssen außerdem als radelnder Beleg herhalten für die McCartney'sche Arbeitshypothese, dass keine Drogen vonnöten sind, um als Hartei unter den Radrennfahren zu gelten.
Ach Gott, Sir Paul, eine ausnehmend blöde Idee, um der verblichenen Gattin zu gedenken. Natürlich wird „Team McCartney“ von den fahrenden Apotheken des Teams Telekom um mehr als eine Salatgurkenlänge abgehängt werden. Die Berggipfel werden sie mangels EPO aus kontrolliert biologischem Anbau allenfalls schiebend erreichen. Und nach zigtausend strapaziösen Kilometern werden sie sa-latmümmelnd auf den Champs-Elysées entlang schleichen und verzweifelt Ausschau nach der nächsten McDonalds-Filiale halten. Hat Linda McCartney es verdient, mit solch einem blamablen Eklat ins Gedächtnis der Menschheit einzugehen?
Hat sie nicht. Denn in ihren 56 Lebensjahren hat sie sich nicht nur als Erfinderin der fleischlosen Hamburger-Alternative „Veggieburger“ und mäßig begabte Keyboarderin der berühmten Pop-Band „Wings“ einen Namen gemacht. Vor allem als Fotografin hat sich Linda McCartney bereits zu Lebzeiten einen ausgesprochen guten Ruf erarbeitet.
1986 wurde sie in den USA zur „Fotografin des Jahres“ gewählt. Auch dank ihrer Porträts der aufstrebenden Kultfiguren der Beatles-Ära – die zu einem Zeitpunkt entstanden, wo die Unterhaltungsindustrie diese pubertierend-oppositionelle Szene noch nicht vollständig kommerzialisiert hatte – wurden Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Keith Moon zu Ikonen der Sixties-Generation.
Zwar kam ihr zugute, dass sie als „erfolgreichstes Groupie der Sixties“ (Sunday Times Magazine) selbst Teil jener exzentrischen Pop-Szene war. Doch weit mehr als durch den exklusiven Zugang zu den Stars überzeugten ihre Fotos durch eine ungekünstelte, spontane Bildsprache, die sie später selber als Ausdruck eines „instinktiven Arbeitsansatzes“ charakterisierte.
Wie sehr diese Methode für Linda McCartneys Arbeit maßgebend war, zeigen ihre „Roadworks“, die im Neuen Museum Weserburg nun als Deutschlandpremiere zu sehen sind. Die Ausstellung umfasst 75 großformatige, überwiegend schwarzweiße Abzüge, die die Fotografin schon 1996 in ihrem letzten, weitaus umfangreicheren, gleichnamigen Bildband veröffentlicht hat. Die Aufnahmen entstanden zwischen den 60er und 90er Jahren auf zahllosen Reisen.
Im Gegensatz zu ihren Sixties-Fotos verzichten die „Roadworks“ vollständig auf den Star-Bonus. Zwar ist Ehemann Paul einige Male zu sehen (rührend geradezu eine Aufnahme, die Pauls verträumten Blick im Rückspiegel eines Autos zeigt), doch dominieren eindeutig Alltagsszenerien, die zumeist namenlose Menschen in den Mittelpunkt rücken.
Passanten, Schaufensterbummler, Kinder, schräge Vögel und andere Straßeneckenhelden bevölkern die Szenerien. Häufig aus dem fahrenden Auto heraus fotografiert, verstärkt dieser Blickwinkel den Augenblickscharakter vieler Aufnahmen. Zuweilen erinnern sie in ihrer flüchtigen Dramaturgie an Filmsequenzen, an zufällige Ausschnitte, die aus einer fließenden Bewegung herausgerissen wurden. Immer wieder spielt McCartney dabei mit dem Motiv der Spiegelung, nutzt mehr oder weniger absichtlich Windschutzscheiben, blitzende Oberflächen und Schaufens-ter zur Komplexitätsverdichtung.
Zwanghaft konstruiert wirken die Bilder dadurch jedoch nicht. Vielmehr macht sich die fotografische Autodidaktin ihr ausgeprägtes Gespür für die Dramatik des Alltags zunutze, dessen kaputten Hinterhöfe und schrammeligen Straßenzüge offensichtlich von mehr Hexen, Vampiren und Freaks bevölkert ist, als der flüchtige Blick gemeinhin zur Kenntnis nimmt. Oder wie es McCartney mal in einem Interview ausdrückte: „Ich könnte Bilder von einer Rolle Klopapier machen, wenn irgend etwas daran absonderlich wäre“.
Soweit ist es aber nie gekommen. Eine Rolle Klopapier sucht man in der Ausstellung vergeblich. Franco Zotta
P.S. McCartneys Geburtsname war Eastman. Was immer wieder zum Anlass genommen wurde, sie zur Erbin der Firma Kodak zu erklären. Doch nicht jede fotografierende Eastman ist Kodakerbin, ebensowenig wie einkaufende Albrechts notwendig ALDI-Sprösslinge sind. Lindas Vater war Anwalt. Wohlhabend, aber kein Kodakbesitzer.
Bis zum 23. Januar 2000 in der Weserburg, Teerhof 21. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (85 Mark, Hardcover). Weitere Informationen erhält man unter der Telefonnummer 59 83 90 oder im Internet unter www.bremen.de/info/weserburg .
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