Louisiana und die Öl-Katastrophe: "Dies ist ein Krieg"

Der Öl-Konzern ist omnipräsent - eine ganze Region hängt am Tropf des Katastrophen-Verursachers. Sozialarbeiter verzeichnen einen Anstieg von Angstzuständen und Selbstmordneigungen. Eine Reportage.

Gottes Hilfe wird erbeten: Protest-Figur in Larose. Bild: dorothea hahn

BATON ROUGE taz | Dean Blanchards Füße liegen auf dem Schreibtisch. In dem gelb gestrichenen Büro am Hafen von Grand Isle klingelt das Telefon nicht mehr. Neben seinen Füßen stehen zwei Plastikbecher mit Rohöl. In einem ist das Öl noch zähflüssig und stinkt. In dem anderen ist es schon etwas fester, aber noch klebrig. Der 51-Jährige hat es aus dem Wasser geschöpft, von dem er seit einem Vierteljahrhundert gelebt hat.

Bis zu der Explosion der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" verkaufte Blanchard Krabben und Fische aus dem Golf von Mexiko. Er war der größte Seafood-Händler an der Küste von Louisiana. An guten Tagen verließen 20 Großlaster seine Firma. Sie fuhren bis nach New York, Chicago und Los Angeles. Heute sind nur noch 7 seiner zuvor 90 Beschäftigten übrig. Alle anderen hat er entlassen. Manche verdingen sich jetzt bei BP. Reinigen im Auftrag des Mineralölkonzerns die Küste, die der Mineralölkonzern verdreckt hat.

Andere sind arbeitslos. Blanchards Frau weint sich jede Nacht in den Schlaf. Er selbst hat eine heisere Stimme. Zündet eine Zigarette an der anderen an und gibt wütende Erklärungen ab. Er schimpft abwechselnd über die "arroganten Briten", über die "korrupte Regierung in Washington" und darüber, dass seine dem Festland vorgelagerte schmale Insel Grand Isle, wo die Leute ihre Zündschlüssel im Auto gelassen haben, zu einem "Hafen des Verbrechens" geworden sei. "Statt Touristinnen im Bikini laufen jetzt Kriminelle als Räumungsarbeiter über unseren Strand", sagt er.

Krisenplan: Angesichts astronomischer Kosten für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird weiter über die Zukunft von BP spekuliert. Die britische Regierung bereitet sich nach Informationen der Times auf ein Auseinanderbrechen des Konzerns vor. Es würden Krisenpläne für den Fall eines Zusammenbruchs oder einer Zerschlagung ausgearbeitet, hieß es am Dienstag.

Börse: Zumindest auf den Kurs der BP-Aktie wirkten sich die Gerüchte positiv aus. Am Dienstagvormittag lagen die Papiere um 2,74 Prozent im Plus. Seit April hat sich der Aktienkurs des Unternehmens wegen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nahezu halbiert.

Folgen: Falls das ehemals größte britische Unternehmen die Krise nicht überleben sollte, betrifft dies unmittelbar britische Interessen. So gehört BP der größte Teil der britischen Energie-Infrastruktur. Allein in Großbritannien beschäftigt der Konzern mehr als 10.000 Menschen. 2009 bescherte BP dem britischen Schatzkanzler Steuereinnahmen in Höhe von fast 6 Milliarden Pfund (7,25 Mrd Euro). Von einem etwaigen Zusammenbruch wären auch viele britische Rentenfonds betroffen.

Übernahme: Als potenzielle Übernahme-Interessenten gelten BPs Hauptkonkurrenten, die amerikanische ExxonMobil und die niederländisch-britische Royal Dutch Shell. Das Wall Street Journal Europe heizte die Spekulationen mit einem Bericht über ein mögliches Interesse Libyens weiter an. (dpa)

Der Seafood-Unternehmer macht wegen der Ölpest "20 Millionen Dollar Einnahmeverluste" geltend. Er hat einen Sachverständigen engagiert, der mit BP über seine Entschädigung verhandelt. "Dies ist ein Krieg", sagt Blanchard. Falls er die Entschädigung erhält, will er mit ein paar Fischern aus Grand Isle nach Costa Rica übersiedeln: "Da gibt es viel Fisch. Und hier ist in den nächsten vier oder fünf Jahren nichts mehr möglich." Für den Fall, dass er sein Geld nicht bekommt, sinnt Blanchard auf Rache. Er will nach London fahren und dort "Tony Hayward jagen" - den Chef von BP.

Längs der Golfküste der USA liegen die Nerven von Millionen Menschen blank. Die schwarze Flut, die seit dem 20. April in 1.500 Metern Tiefe in den Golf von Mexiko strömt, hat das Leben im Deep South radikal verändert. Die Strände sind gesperrt. Am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, fielen sogar manche Feuerwerke aus. Wegen der Gefahr, dass Funken das Öl in Brand stecken könnten. Die Katastrophe trifft alle. Selbst Viehzüchter, die im Landesinneren arbeiten. Seit dem Beginn der Hurrikan-Saison fürchten sie, dass das Öl mit dem Sprühregen der tropischen Sommerstürme vom Golf auf ihre Weiden gelangt - und von dort in die Mägen der Rinder.

In Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, hofft Marylee Orr, Umweltschützerin der ersten Stunde, immer noch, dass alles "bloß ein Albtraum ist", den sie beim Aufwachen abschütteln kann. Anfang Mai hat Orr zusammen mit der Chemikerin Wilma Subra Masken und Schutzhandschuhe an Räumungsarbeiter verteilt, die in Kontakt mit dem Rohöl und mit dem Dispersionsmittel Corexit kommen, von dem BP Millionen von Litern in den Golf sprüht, um das Öl zu binden und abzusenken. Damals wollte BP nichts von Schutzkleidung wissen: das galt als unnötig und hinderlich. Die Umweltschützerinnen verwiesen auf die Krankheiten von Arbeitern bei anderen Ölkatastrophen.

Chemikerin Subra nennt Übelkeit, brennende Augen, Hals- und Kopfschmerzen sowie Atemprobleme als "erste Symptome" und "Krebs und Herzkrankheiten", die folgen können. Zwei Monate danach bestätigen Krankmeldungen von den Rettungsarbeitern ihre Befürchtungen. Bis Ende Juni haben die Behörden 162 Erkrankungen "im Zusammenhang mit der Ölpest in Louisiana" registriert. Dabei dringen die meisten Krankmeldungen gar nicht erst bis zu den Behörden vor. Auf den Krankenstationen von BP erfassen Werksärzte kranke Arbeiter in der Regel als "erkältet". Das ist nicht meldepflichtig.

Eine weitere sanitäre Katastrophe rollt: Lehrer und Sozialarbeiter beobachten den Anstieg von Angstzuständen und Depression, Alkoholismus, Selbstmordneigungen und häuslicher Gewalt. Die Symptome ähneln jenen nach dem Hurrikan "Katrina" 2005. Aber dieses Mal ist es heimtückischer. Mit Wirbelstürmen können die Menschen in der Region umgehen. Aber auf eine Ölkatastrophe ist niemand vorbereitet. "Der Zorn, die Angst und die Ungewissheit bei den Betroffenen werden zu einer Krise der mentalen Gesundheit führen", hat Alan Levine an BP geschrieben. Der Gesundheitsminister in Baton Rouge will, dass der Mineralölkonzern 10 Millionen Dollar für seelische Notfallversorgung zahlt.

Das weiß-gelb-grüne Blütenlogo von BP, das früher nur an Tankstellen und Raffinerien prangte, ist jetzt omnipräsent in Louisiana. BP sitzt in der Einsatzzentrale für die Rettungsarbeiten. BP hat Anlaufstellen für Schadensersatzklagen. BP zahlt die Löhne von 45.000 Rettungsarbeitern. BP sponsert Lebensmittel für die Opfer. BP bezahlt die US-Regierung für den Einsatz der Küstenwache. Und BP hat die Hotelzimmer längs der Küste angemietet.

Der Konzern greift nicht nur in den Geldbeutel - bis zum 75. Tag der Katastrophe hat er 3 Milliarden Dollar für erste Rettungsarbeiten ausgegeben -, sondern versucht zugleich, externe Kontrollen zu verhindern. BP hat eigene Reporter angeheuert, damit sie über die von BP verursachte Katastrophe berichten. Für alle anderen gelten Bannmeilen. Selbst die schwimmenden Plastikbarrieren - die bei starkem Wind zerreißen und über die bei mittelhohen Wellen das Öl in das Feuchtland schwappt - sind tabu. Wer sich auf mehr als 20 Meter nähert, riskiert eine Geldstrafe.

BP will vor allem Journalisten abwimmeln. Gewerkschaften muss der Mineralölkonzern nicht fürchten. Denn auf den Ölplattformen im Golf sind die Arbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert. Die "United Steel Workers Union" hat zwar Mitglieder in manchen Ölraffinerien und Chemiewerken an Land. Aber an die Offshore-Beschäftigten kommt sie nicht heran. "Die Plattformarbeiter haben Angst, sich gewerkschaftlich zu organisieren und auf schwarze Listen der Unternehmen zu geraten", begründet Gewerkschaftssprecherin Lynne Baker.

"Würde ich Öl in den Golf schütten, würde ich verhaftet und verurteilt", ereifert sich Bobby Pitre: "Aber BP darf das vielmillionenfach tun und niemand greift ein." Der 33-jährige Tätowierer arbeitet in Larose, inmitten der Wetlands von Louisiana. Er tätowiert auch viele Ölarbeiter. In normalen Sommern verbringt Pitre seine Freizeit schwimmend, surfend und grillend am Meer. In diesem Sommer reagiert Pitre sich mit wütenden Graffitis an der Fassade des Tätowierladens ab. Die Gemälde richten sich mit derselben Wucht gegen den Mineralölkonzern wie gegen Präsident Barack Obama. Vor allem wegen dessen Moratoriums für neue Ölbohrungen. Bloß der republikanische Gouverneur von Louisiana, Bobby Jindal, findet Gnade in den Augen des Tätowierers. Gouverneur Jindal ist dafür, dass weiter und mehr nach Öl gebohrt wird. Er hat Insassen der Gefängnisse zu den Säuberungsarbeiten geschickt. Und er kritisiert Präsident Obama für zu viel zentralstaatliche Kontrollen.

Jeder Tag in diesem Sommer am Golf bringt neue Hiobsbotschaften. An einem einzigen Wochenende wird bekannt, dass beim Abfackeln von Rohöl Schildkröten mit verbrannt werden. Dass sich im Körper von heranwachsenden blauen Krebsen im Mississippi-Delta Öltropfen befinden. Dass Öl bereits in dem tief im Landesinnern gelegenen Pontchatrain-See schwappt. Und dass Teerklumpen aus der "Deepwater Horizon"-Quelle jetzt bis nach Texas gelangt sind.

Doch an ein Ende der Offshore-Bohrungen denkt kaum jemand. Louisiana hat seine Wirtschaft rund um das Öl und die Fischerei konstruiert. Von jedem Küstenort aus sind in der Ferne Bohrtürme zu sehen. Und in jeder Familie gibt es sowohl Fischer als auch Ölarbeiter.

Am Abend bevor am Flughafen von New Orleans 78 entölte braune Pelikane in den fern gelegenen Bundesstaat Georgia verladen werden, wundern sich in einem Hotel der Stadt Ölarbeiter, wie viel über verölte Tiere berichtet wird und wie wenig über sie. Sie gehen fast gleichzeitig mit den Pelikanen in die Luft. Ein Hubschrauber bringt sie auf die Plattform, von der aus sie die Ersatzbohrungen für die "Deepwater Horizon" machen.

Drei Wochen lang werden sie in Schichten von je zwölf Stunden sieben Tage die Woche auf der Plattform arbeiten. Unterdessen werden aus der Luft Dispersionsmittel gesprüht. Wird rundum Öl an der Meeresoberfläche abgefackelt. Und kommt immer wieder Alarm, damit sie die Schutzmasken aufsetzen, die sie auch beim Schlafen dabeihaben müssen. "Ich hoffe, dass die Gase, die wir einatmen, tatsächlich nur irritierend sind", sagt einer von ihnen. Seinen Namen will er nicht sagen. Wegen des Jobs. Wegen des Geldes.

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