piwik no script img

Lönneberga wird Twin Peaks werden

Keine anarchische Kacke, keine Regressionswürstchen: Der zweite Film um die „Jönsson-Bande“ trainiert den Kinonachwuchs für Almodóvar und Co.

Mit der Kinderkultur ist das so eine Sache und mit dem Kinderfilm sowieso. Ist mal nicht der pure Kommerz am Werk, dann ärgern die pädagogischen Absichten, haut man da ein bisschen auf die anarchische Kacke, wird dort auch schon wieder ein Regressionswürstchen daraus. Die Pokémon-Lösung (Ich will ein Kind sein! Kreisch!) oder die Spielberg/Disney-Lösung (Treffen wir uns doch alle, erwachsene Kinder und kindische Erwachsene, in einem medialen Zwischenreich) generieren am Ende auch nicht wenig Unbehagen. Hey, wie fein ist da der „kultivierte“ Harry-Potter-Boom, und wie wohltuend altmodisch ist eine schwedische Filmserie um Kinderbanden, doofe Schurken und blödsinnige Eltern: Diese Mischung aus Geborgenheit, Abenteuerlust und kindlichem Eigensinn ist wohl doch nicht totzukriegen.

Die Filme der höchst erfolgreichen „Jönsson-Bande“-Serie spielen in den Fünfzigerjahren in einer kleinen schwedischen Stadt, also einem Paradies für Kinder, einer Hölle für Jugendliche und einem sozialen Totenhaus danach. Kein Wunder, dass jeder Kind sein möchte. Und so ist diese schwedische Provinzkindheit ein Exportschlager geworden, neben Ikea, Volvo und dem Ruin der Sozialdemokratie. Wichtig zu wissen ist, dass die Kinderfilmserie ein Ableger und also „Prequel“ zu der gemäßigten Slapstick-Serie mit der erwachsenen „Jönsson-Bande“ ist, deren Filme ihrerseits zu einem Rückhalt schwedischer Selbstvergewisserung geworden sind.

Die Jönssons sind so etwas wie ein nationales Herdfeuer. Und es kann einem ja auch warm werden, wenn man sieht, wie viel Blödsinn man in so beschränkten sozialen Beziehungen anstellen kann, ohne irgendjemandem wirklich weh zu tun. Von so einer Spießerkultur mit Platz für individuelle Narretei haben auch wir geträumt, damals in den Fünfzigerjahren. Und das ist schon einmal ein Rezept für den Erfolg der „Jönsson-Bande“: Filme für die Großen und die Kleinen.

Aber gemach. So konventionell oder nostalgisch die Geschichte auch sein mag, so zeitgemäß ist die Gestaltung dieses zweiten Films der Serie um die Dreierbande („Professor“, Frechdachs, Träumer). In kräftigen Farben, höchst stilisierten Kostümen und Bauten entwickelt er Action, Komik und seine Krimi-Geschichte um den Kunstraub beim reichen und fiesen Wall-Enberg, begangen von drei Artisten eines Wanderzirkus (Clown, Messerwerferin, menschliche Kanonenkugel). Da wären zunächst die gekonnt inszenierten komischen Standardsituationen des Genres: die Messerwerferin, die beim Werfen die Augen zumacht, der Trick, wie man eine Katze dazu bringt, sich selbst k.o. zu schlagen, ein reichlich grotesker Talentwettbewerb (mit Fackel-Furzen à la Jim Carrey, um auch mal die Grenzen des guten Geschmacks zu streifen) und am Ende eine Leichtversion von „After Hours“. Nein, es wird nichts ausgelassen, woraus sich cineastisches Vergnügen schlagen lässt.

Wenn man genauer hinschaut indes, hat dieser Film einen seltsamen formalen Ehrgeiz, der allein schon in der Lage wäre, das Genre zu sprengen. Oft benutzt er ungewöhnliche Einstellungen, planimetrische Bildkompositionen wie aus den Tagen der Nouvelle Vague, öffnet die Räume durch extreme Obersichten, spielt mit abstrakten Bildkompositionen, mit hyperrealen Farb-Entsprechungen, als gelte es, die Nachwuchskinogänger nicht so sehr auf das Kino von Zemeckis, Dante und Hughes, sondern auf das von Almodóvar, Greenaway oder von Trier vorzubereiten.

Und diese verrückte, bunte Kleinstadt-Sauberkeit, die bizarren Macken seiner Bewohner, die komischen Kommunikationsstörungen und unkontrollierbaren Bösartigkeiten – in seinen Bildern handelt dieser Film nicht von einem Paradies der Kindheit, sondern davon, dass Lönneberga, wenn es etwas größer geworden ist, verdammte Ähnlichkeit mit Twin Peaks hat. Und davon, dass man im Kino nicht bloß blöde Geschichten erzählt bekommt, sondern auch etwas und etwas anderes sehen kann. Ist doch schon was.

GEORG SEESSLEN

„Die Jönsson-Bande – Charles Ingvars neuer Plan“. Regie: Christjan Wegner. Mit: Kalle Eriksson, Jonathan Flumée, Fredrik Glimskär u. a. Schweden 1997, 100 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen