Lizenzen für CO2-Emissionen: Die Zähmung des Drachens
Der EU-Emissionshandel sollte das Klima retten. Dann machten ihn Politiker und Lobbyisten zu einem unbeweglichen Bürokratiemonster.
Drei Tage später beginnt hier fast unbemerkt das Endspiel um ein Thema, bei dem Europa der Welt ein Vorbild sein wollte. Es geht um den Emissionshandel. Er ist das weltweit erste System zum Klimaschutz mit den Mitteln des Kapitalismus. Unternehmen in der EU dürfen nur eine bestimmte Menge CO2 ausstoßen, dafür brauchen sie Lizenzen. Stoßen sie mehr aus, müssen sie Lizenzen zukaufen; bleiben sie unter der Grenze, können sie Lizenzen an andere Unternehmen absetzen. Das Klimagas sollte so zu einer wichtigen Ziffer in den Unternehmensbilanzen werden, nur erreicht worden ist das bisher nicht.
Die Unterhändler von Europäischem Rat, EU-Parlament und Kommission, die in diesem Sommer über das Schicksal der europäischen Klimapolitik entscheiden, scheuen die Öffentlichkeit. Sie ziehen sich in einen schlichten Konferenzraum im Glasbunker des Europäischen Rats an der Rue de la Loi zurück, um einen großen Tisch sitzen ein Dutzend Unterhändler, in einem zweiten Kreis Juristen und Experten.
Von den vertraulichen Runden dieses sogenannten Trilogs gibt es weder Protokolle noch Presseerklärungen. Hinter verschlossenen Türen wird ein Deal gesucht, der alle Seiten glücklich machen soll: weniger Emissionen, mehr Ausnahmen für die Industrie, mehr Geld für Osteuropa.
„Der Emissionshandel arbeitet wie im Lehrbuch“
Wer sich mit dem Thema befasst, ist nervös, mitten in einer Hitzewelle, die so gut zum Klimawandel passt. „Da muss ich jetzt aufpassen, was ich sage“, murmelt ein beteiligter Parlamentarier. Die EU-Kommission gibt offiziell keine Erklärungen ab. Industrielobbyisten zeichnen ihre Gespräche mit Journalisten auf, um ja nicht falsch zitiert zu werden.
Es geht um Milliarden von Euro, die Zukunft von Industriebranchen und die Stellung Europas als Klimaschützer. Denn der Emissionshandel hat einen schlechten Ruf: Er reduziert kaum CO2-Emissionen, er belastet die Kleinen und schont die Großen, die Lizenzen für den CO2-Ausstoß sind viel zu billig. Das europäische „Kerninstrument im Klimaschutz“, so die allgemeine Ansicht, funktioniert nicht richtig.
Sigmar Gabriel
Franzjosef Schafhausen widerspricht. „Der Emissionshandel arbeitet wie im Lehrbuch“, sagt der große Mann mit dem weißen Haar und der runden Hornbrille. „Wenn das Angebot auf dem Markt hoch ist, fallen die Preise eben in den Keller.“ Der 69-jährige Volkswirt weiß, dass die EU Lizenzen vom Markt nehmen muss, um den Emissionshandel zu retten. Schafhausen kennt das System, er hat es selbst mit aufgebaut.
Jahrzehntelang arbeitete er als Beamter im Bundesumweltministerium, zuletzt als Abteilungsleiter. Schafhausen ist zwischen Brüssel und Berlin gependelt, hat endlose Debatten ertragen und an Details gefeilt. „Es gibt zwei Leute, die in Europa den Emissionshandel begriffen haben“, scherzte der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel gern über seinen Mitarbeiter. Der eine ist verrückt geworden. Der andere ist Franzjosef Schafhausen.“
Das Ungeheuer Klimawandel
Schafhausen, dessen rheinischer Akzent so gut zu seinem gemütlichen Wesen passt, ist seit Kurzem in Pension. Doch er kann sich immer noch in den Details von „sektorübergreifenden Korrekturfaktoren“ oder „Marktstabilitätsreserven“ verlieren. Gespannt blickt er nach Brüssel: Was machen sie da aus seinem Lebenswerk?
Rückblick: 2002 beschließen die EU-Staaten voller Elan das „Europäische Emissionshandelssystem“ (ETS). Um das Ungeheuer Klimawandel zu bekämpfen, schaffen sie den Drachen Emissionshandel. Er soll hoch fliegen, Feuer spucken und der Industrie die Zähne zeigen, damit sie den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid immer weiter reduziert.
Die Idee ist simpel. 11.000 Kraftwerke und Fabriken in Europa, die etwa die Hälfte aller europäischen CO2-Emissionen ausmachen, brauchen dafür ab 2003 eine Lizenz für jede Tonne CO2. Dafür legen die Länder eine EU-weite Obergrenze fest, die schrittweise sinkt. Wer weniger als die ihm zugewiesene Menge CO2 produziert, kann seine Lizenzen an andere verkaufen, die noch welche brauchen.
Klimaschutz soll da passieren, wo er am günstigsten ist. Der deutsche Umweltminister heißt Jürgen Trittin, trägt einen Schnauzbart und nennt den Emissionshandel „einen hochvernünftigen Kompromiss.“ Der Umweltverband WWF bejubelt ihn als „Erfolgsrezept“.
Zu freundlich, zu harmlos
Dabei ist der Drache in Wahrheit bloß ein Halbdrache, wie Nepomuk aus Michael Endes „Jim Knopf“, ein Abkömmling eines Drachenvaters und einer Nilpferddame. Zu freundlich, zu harmlos für einen echten Drachen. Er soll die Industrie Respekt lehren, aber nicht verschrecken. Die Lizenzen für den CO2-Ausstoß werden von den EU-Staaten an die meisten Unternehmen verschenkt, damit diese mit Konkurrenten in den USA oder China mithalten können, die billiger produzieren.
Zweiter Fehler: Die Staaten geben mehr Lizenzen aus, als gebraucht werden. Im April 2006 stürzt der Preis ab. Von 30 Euro pro Tonne CO2 fällt er bis Ende 2007 auf null. Der Drache hat sich an den Lizenzen überfressen.
Es kommt noch schlimmer: Plötzlich dürfen sich europäische Unternehmen auch außerhalb der EU billige Lizenzen besorgen. Die Wirtschaftskrise trifft die Industrie hart, die Nachfrage nach Lizenzen sinkt, der Preis bleibt unten.
Die EU-Staaten machen aus dem Drachen ein Bürokratiemonster. Es schießen Firmen aus dem Boden, die den Unternehmen helfen, Anträge auf kostenlose Lizenzen zu stellen, und Behörden, die Register aufbauen, um zu erfassen, welche Unternehmen überhaupt vom ETS betroffen sind. Gauner hinterziehen Steuern mit dem Emissionshandel, Hacker stehlen Millionen von Lizenzen, Kraftwerke in Osteuropa bekommen milliardenschwere Ausnahmen. Und immer weiter überfüttern die nationalen Regierungen den Drachen. Am Ende gibt es im System drei Milliarden Lizenzen zu viel. Dabei werden pro Jahr nur zwei Milliarden benötigt.
Zum 22. Geburtstag ein bisschen Rauch spucken
Die verschwiegene Runde im Brüsseler „Trilog“ ringt nun um eine vorsichtige Diät für den überfressenen Drachen. Weil Diäten immer erst morgen beginnen, soll auch diese hier von 2021 bis 2030 gelten: Die Obergrenze für die Emissionen sollen schneller sinken als bisher, überflüssige Zertifikate ab 2025 tatsächlich vom Markt verschwinden.
Dafür soll es weiterhin kostenlose Lizenzen für die effizientesten Anlagen in der Industrie geben und mehr Geld für den Umbau der alten Kohlekraftwerke in Osteuropa. Der Drache speit kein Feuer. Aber zu seinem 22. Geburtstag darf er ein bisschen Rauch spucken.
In Ludwigshafen am Rhein fürchten sie dennoch, der Emissionshandel könne ihnen gefährlich werden. Der Stammsitz des Chemiekonzerns BASF ist eine kleine Stadt mit 38.000 Angestellten, eigenem Krankenhaus, Güterbahnhof, Umspannwerk, Bäckern und Friseur. Auf sechs Kilometern am Rheinufer steht die Zentrale des weltgrößten Chemiekonzerns.
Drei Kraftwerke, unzählige Schornsteine und Kühltürme ragen in den Himmel, grüne, graue, silberne Pipelines jeder Dicke und Länge schlängeln sich auf Kabelbrücken über das gesamte Gelände. Über 150 Jahre ist die Chemiestadt gewachsen, neben fünfstöckigen Backsteinhäusern stehen riesige silberne Tanks, auf der Baustelle der neuen Acetylanlage wachsen 40 Meter hohe Fahrstuhlschächte aus dem Boden. Die Wege hier heißen „Anilinfabrikstraße“ oder „Benzolstraße“.
Es riecht nicht nach Chemie
Besucht man das Werk, riecht es nicht nach Chemie. Nur eine einsame Wächterflamme auf der Ammoniakanlage fackelt ein paar Gase ab. Sicherheit ist wichtig, es gibt drei Feuerwehren, das Gelände ist umzäunt und bewacht, bei der Werkstour ist Aussteigen verboten. Zwischenfälle fürchten sie hier. Am 17.Oktober 2016 sägten Arbeiter ein falsches Rohr an, bei der Explosion starben vier Menschen, 29 wurden verletzt. Zehn Stunden brannte das Feuer, über dem Rhein stand eine riesige Rußwolke. Der Schock sitzt ihnen noch in den Knochen.
Wolfgang Weber ist der Feuerwehrmann für BASF in Brüssel. Er soll die Brände austreten, die auch vom Emissionshandel drohen. Weber, 51, Chef des Lobbybüros bei der EU, kurzes dunkelblondes Haar, intensiver Blick aus blauen Augen, ist ein guter Interessenvertreter. Freundlicher Umgang, alle Fakten parat, verbindlich, bei Bedarf kann er aber auch gut attackieren. Manchmal ist das nötig.
Denn BASF verschlingt für seine Produktion von Kunststoffen, Dämmmaterial, Farben, Autoteilen, Vitaminen oder Grundstoffen für Tiernahrung und Windeln eine Menge Energie. Der Standort Ludwigshafen allein verbraucht für seine 22 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ein Prozent des deutschen Stroms und stößt so viel Kohlendioxid aus wie Äthiopien. In manchen Anlagen machen Strom und Gas 60 Prozent der Kosten aus.
„Wir stehen zum Emissionshandel“, sagt Weber. Auch weitgehend zum Kompromiss, der jetzt auf dem „Trilog“-Tisch liegt und der alle Seiten glücklich machen soll. Kein Wunder, dass die Industrie zufrieden ist. Die Stahl-, Zement- und Chemiebranche, die viel Energie verbraucht, hat mit ihren Lobbys Parlament und EU-Rat kräftig bearbeitet. Der Albtraum der Industrie, laut Industrieverband „Business Europe“, sei ein Emissionshandel, „der zu Knappheit am Markt führt“. Das heißt: Zu steigenden Preisen. Das, was der Emissionshandel eigentlich erreichen sollte. Scharfe Zähne für den Drachen.
Firmen oder Klimaschutz stehen vor dem Aus
Etwa 5 Euro kostet derzeit eine Lizenz für eine Tonne CO2 in Europa. Rund 40 Euro müssten es laut Ökonomen sein, um Firmen zu bewegen, Kohlekraftwerke abzuschalten, und Kunden dazu zu bringen, Häuser zu dämmen und sparsame Autos zu kaufen. Solange die Gesamt-CO2-Obergrenze eingehalten wird, ist das akute Klimaziel nicht in Gefahr. Aber wenn die einzelne Tonne CO2 zu billig ist, verzögern die Firmen Investitionen ins Energiesparen und in neue grüne Technik.
Die Gefahr: Wenn ab 2030 die Emissionen richtig sinken müssen, sind sie darauf nicht vorbereitet. Dann stehen entweder die Unternehmen oder der Klimaschutz vor dem Aus. Schon warnt das deutsche Umweltbundesamt vor einem „Nachlassen der Minderungsanstrengungen“. Das vernichtende Urteil: Der Emissionshandel könnte „als Bremse für ambitionierte Klimaschutzpolitik wirken“. Der Drache Emissionshandel versagt nicht nur darin, die Emissionen wirksam zu bekämpfen. Er hilft auch noch seinem ärgsten Feind, dem Ungeheuer Klimawandel.
Der Druck auf die EU ist groß. Die Klimaziele müssen verschärft werden, wenn das Pariser Klimaabkommen erfüllt werden soll. Dagegen hat die Industrie gar nichts. Solange sie ihre kostenlosen Zertifikate bekommt.
BASF ist einer der Gründe, warum Deutschland in Brüssel den Ruf hat, immer ein offenes Ohr für Wirtschaftsinteressen zu haben – trotz grüner Rhetorik. Das Chemieunternehmen betreibe „effektive Lobbyarbeit“, sagen Gegner anerkennend. „Sie haben hier viele Freunde, ich gehöre nicht dazu“, meint Peter Liese, CDU-Umweltpolitiker im Parlament. Sein grüner Kollege Claude Turmes erinnert daran, dass die BASF-Chefs traditionell ein enges Verhältnis zu Angela Merkel haben.
Chemie-Jobs in Übersee
BASF wurde von der deutschen Regierung und der EU-Kommission immer so gut mit CO2-Lizenzen versorgt, dass sie erst ab 2020 zukaufen müssen. Bisher haben sie keinen Cent bezahlt. Schließlich will auch die Politik, dass sie mit der billigen Konkurrenz mithalten können. Chemie-Jobs in Übersee nutzen weder Deutschland noch dem Klima.
Er bekomme die Lizenzen gratis, weil seine Produktion so effizient ist, sagt der Konzern. Wolfgang Weber klappt dann schnell den Laptop auf und zeigt Grafiken: „Wir haben unseren CO2-Ausstoß als Gesamtkonzern seit 1990 um 50 Prozent gesenkt. Und je produzierter Einheit sogar um 75 Prozent.“ Damit, so Weber, sei aber eine Grenze erreicht. Mehr gehe nicht mit Technik und Rohstoffen von heute.
Dieses Argument kennt Franzjosef Schafhausen nur zu gut. „Passen Sie auf, Sie sind jetzt mal die Umweltministerin“, sagt er und grinst. „Und ich bin der Vorstandschef von BASF.“ Dann legt er den Kopf ein wenig schief und sagt mit sanfter Stimme: „Frau Ministerin, wir machen uns große Sorgen! Wenn diese Regelung so kommt, müssen wir unsere Investitionsentscheidungen für Deutschland noch einmal überdenken. Es könnte sein, dass wir in Länder ausweichen müssen, wo Gas und Strom nur die Hälfte kosten!“
Er blickt seinen Gegenüber an. „Und Sie als Ministerin müssen dann hinterher fragen: Stimmt das? Und Ihre Mitarbeiter werden sagen: ‚Das kann man so sehen. Aber wir nehmen doch Rücksicht auf die energieintensive Industrie. Wir geben den Unternehmen doch kostenlose Zertifikate!‘“
Der Kampf um die Chemie der Zukunft beginnt
Die Drohung der Industrie, man könne auch woanders produzieren, ist trotzdem der Grund für all die Ausnahmen und Schlupflöcher, die den Emissionshandel schwächen. Da ist es auch egal, wenn die OECD in einer Studie über die Industrieländer erstaunt feststellt, dass „strenge Umweltstandards nicht die Wettbewerbsfähigkeit beim Export schädigen“.
Oder wenn die Organisation Carbon Market Watch warnt, der Vorschlag der EU-Kommission im Trilog würde bedeuten, dass die europäischen Steuerzahler über diese Ausnahmen zwischen 2020 und 2030 „mindestens 160 Milliarden Euro Subventionen an die größten Verschmutzer auszahlen“.
Franzjosef Schafhausen war lange Zeit so etwas wie der Tierpfleger für den Drachen Emissionshandel. Er sah ihn über die Jahre schwächer und schwächer werden. Jetzt hofft er auf einen vernünftigen Kompromiss im „Trilog“, er will, dass überschüssige Lizenzen gelöscht werden. Er bleibt halber Optimist: Die Preise für die Lizenzen würden ab 2025 steigen – „allerdings nicht so sehr, wie es für echten Klimaschutz nötig wäre“.
Der Drache kann dann ein bisschen fauchen und schnappen, mehr nicht. Aber die Zähmung des Ungeheuers kommt vielen recht. Denn er wird noch für andere Aufgaben gebraucht.
Die Recherche zu diesem Text wurde durch das „Stipendium Europäische Energiepolitik“ der Heinrich-Böll-Stiftung ermöglicht.
Wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden sollen, muss die Chemieindustrie langfristig ihre Produktion umstellen. Gerade beginnt der Kampf um die Chemie der Zukunft. Eine Chemie, die nicht auf Erdöl beruht. Die „Dekarbonisierung“, der Abschied von Öl, Kohle und Gas, bedroht die Chemieindustrie noch stärker als die Kraftwerke. Denn Kohlestrom kann man relativ einfach durch Ökostrom ersetzen. Bei Naphtha ist das schwieriger.
Autoreifen und Farben aus Pflanzen
Naphtha ist Rohbenzin, der leichteste Stoff, der in der Raffinerie aus Rohöl entsteht. Farblos bis rotbraun, riecht es nach Tankstelle. Für BASF ist es die Knetmasse für die 8.000 Produkte, die den Konzern zum Global Player machen. Naphtha landet in Ludwigshafen per Tankschiff und Pipeline vom Ölhafen Rotterdam oder vom Mittelmeer. Es fließt in den „Steamcracker“, eine riesige Fabrik aus Rohren, Kesseln, Tanks und Boilern.
Dort werden die Kohlenstoffmoleküle durch Hitze und Druck zerlegt und zu allen möglichen Wunderstoffen neu zusammengesetzt. Zum Beispiel entstehen zusammen mit Pyrolysebenzin Ethylen und Benzol. Über die Ethylbenzolanlage, Styrolfabrik und Polystyrolfabrik wird Polystyrol erzeugt: der Grundstoff für Wärmedämmung an Häusern, das gute Gewissen der BASF im Klimaschutz. Was an Energie bei der Produktion verbraucht wird, werde durch die Einsparungen bei gedämmten Häusern mehrfach eingespart, heißt es.
„Dekarbonisierung“ hieße auch, Abschied zu nehmen von Naphtha. Könnte man Autoreifen und Farben auch aus Pflanzen herstellen? „Möglich wäre das natürlich“, sagt Weber. „Realistisch betrachtet werden wir noch Jahrzehnte fossile Rohstoffe einsetzen. Aber den Chemikern ist es prinzipiell egal, ob sie den nötigen Kohlenstoff aus Öl, Holz oder CO2 und Wasser destillieren“.
Das aber bräuchte vielleicht fünfmal so viel Strom wie heute, wenn man Hitze und Dampf nicht mehr mit Gas erzeugen könne. Wolle man Klimaschutz, müsse das mit Ökostrom gemacht werden – schwierig und teuer. Wenn diese Umstellung nicht global betrieben werde, so Webers Einschätzung, müsse sie der Staat fördern. Wie? „Der Emissionshandel muss ja nicht eine Belastung für uns bedeuten, er kann uns ja auch entlasten, wenn darüber die Unterstützung verteilt wird.“
Viele Umweltschützer zweifeln
Weber zielt auf die EU-Töpfe für Modernisierung. Die EU verteilt jährlich etwa 200 Millionen Euro, die aus der Versteigerung der CO2-Lizenzen stammen. Davon könne man die Forschung zu einer Chemieindustrie ohne Gas und Öl doch unterstützen. Subventionen für eine grüne Industrie, damit könnten sogar die Umweltschützer leben.
Aber damit gäbe die EU einen Grundsatz der Umweltpolitik auf: Der Verschmutzer soll zahlen. Viele Umweltschützer zweifeln außerdem, ob es die Chemiebranche ernst meint mit dem Klimaschutz. Der europäische Chemieverband Cefic schreibt in einem internen Papier, man könne die Emissionen bis 2050 nur um 15 Prozent gegenüber 2010 verringern. Dekarbonisierung sieht anders aus. Der kleine, dicke Drache wird also nicht ernst genommen.
Für Georg Zachmann, Ökonom des Thinktanks Bruegel in Brüssel, bezweifelt die Wirtschaft, dass im Emissionshandel jemals wirksame Preise erzielt werden. Aber was passiert, wenn nach 2030 die Emissionen drastisch sinken müssen – werden die Lizenzen dann verknappt und damit wertvoll? „Daran glaubt eben niemand“, seufzt Zachmann. „Dann wird die Politik wieder vor der Wirtschaft einknicken und irgendwelche Ausnahmen schaffen.“
Immerhin ist der Emissionshandel global sehr hilfreich. Als Vorbild und als abschreckendes Beispiel. China oder Kalifornien etwa experimentieren mit Systemen zum Emissionshandel. „Wir lernen aus euren Fehlern“, sagt die Chefin des Emissionshandels in Kalifornien. Wie viel es da noch zu lernen gibt, wird sich bald entscheiden. Für die endgültige Abstimmung über den „Trilog“-Kompromiss haben die Umweltminister der EU bereits einen Termin im Oktober gefunden: Freitag, der 13.
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