Live Earth: Der Zweck heiligt die Titel
Jetzt wird das Klima gerettet - jeder dritte Erdbewohner wird sich am Samstag "Live Earth" anschauen: 150 Künstler, 24 Stunden, zehn Bühnen, sieben Kontinente. Einwände?
Es muss immer mehr werden, immer größer, immer umfassender. Anders ist die Welt wohl nicht zu retten. Zwei Konzerte waren es 1985 bei "Live Aid", dem zu diesem Zeitpunkt größten Event der Rockgeschichte. Einige Dutzend Bands traten auf, 16 Stunden dauerte das Ganze. Bei "Live 8", der Neuauflage 2005, waren es schon zehn Konzerte auf vier Kontinenten, als Bob Geldorf und Bono Vox unter dem Motto "Make Poverty History" den Druck auf die beim G-8-Gipfel von Gleneagles versammelten Staatschefs verstärken sollte, den afrikanischen Staaten die Schulden zu erlassen. Und nun: "Live Earth". Neun Konzerte über 24 Stunden auf allen Kontinenten, ergänzt durch 6.000 Public-Viewing-Veranstaltungen in 100 Ländern. Zwei Milliarden Zuschauer und Zuhörer sollen es werden. Das ist fast jeder dritte Erdenbewohner.
Wo? Es gibt zehn Konzerte auf sieben Kontinenten; Bühnen stehen in Sydney, Tokio, Schanghai, Hamburg, Johannesburg, London, New York, Washington, Rio de Jainero sowie auf der antarktischen Forschungsstation Rothera.
Wann? Das erste Konzert beginnt heute um 5 Uhr MEZ in Sydney. Im Dreistundentakt geht es weiter. Das Konzert in Hamburg ist um 14 Uhr Ortszeit an der Reihe, das letzte Konzert beginnt um 21 Uhr MEZ am Strand der Copacabana in Brasilien.
Wer? Etwa 150 Künstler, darunter Bon Jovi, Fall Out Boy, Alicia Keys, The Police, The Smashing Pumpkins, Kanye West, Gilberto Gil, Lenny Kravitz, Jennifer Lopez, Jack Johnson, Snoop Dogg, Jan Delay, Shakira, Beastie Boys, Genesis, Metallica, Madonna.
Wie: Live vor Ort, im Fernsehen. N24 überträgt komplett, ProSieben teilweise oder im Radio bei den ARD-Anstalten.
Warum? Für ein besseres Klima und all das
Was ist hier los? Woher dieses Bedürfnis und die Fähigkeit, die Weltrettung ausgerechnet bei der Popkultur anzusiedlen? Warum diese Logik der Überbietung? Muss es wirklich immer mehr werden?
Um Geld ging es bei Live Aid, am Ende lagerten 254,4 Millionen Dollar auf den Spendenkonten. Aufmerksamkeit war die Währung, auf die man bei Live 8 spekulierte. Schwer messbar natürlich, aber erregt wurde sie auf jeden Fall. Geblieben ist von beiden Events allerdings wenig. Vor allem Live 8 krankte daran, dass der eigentliche politische Kern der Veranstaltung äußerst schwach war. Die Freude an der schieren Größe der Mobilisierung überdeckte, dass reine Gutwilligkeit den Lauf der Welt noch nie verändert hat. Dafür braucht es Institutionen.
Das soll bei Live Earth nun anders sein. Was vor allem mit Al Gore zu tun hat, der - anders als Bono Vox vor zwei Jahren - die Bühne, die er sich für diesen Tag gebaut hat, nicht nur zur Selbstdarstellung benutzen wird. Das Geld, das durch die Einnahmen aus dem Ticketverkauf, die Sponsorengelder und die Vergabe von Übertragungsrechten zusammenkommt, soll in die Stiftung "Save Our Selves" fließen, die Gore gründen wird.
So hält sich Kritik an Live Earth auch in engen Grenzen. Was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass Live Earth aus den Fehlern des Vorgängerspektakels gelernt hat. Wurden damals zu Recht das simplifizierende Afrikabild der Organisatoren und die Ignoranz gegenüber afrikanischer Musik angeprangert, haben die Organisatoren diesmal fast alles richtig gemacht. Ein Konzert findet in Kioto statt, als Referenz auf den dort abgeschlossenen Vertrag, eines in Ozeanien, jener Weltgegend, die die Bedrohung durch den steigenden Meeresspiegel am deutlichsten und schon bald zu spüren bekommen wird. Eine britische Forschungsstation in der Antarktis ist eingebunden, wo die Hausband, die aus fünf Wissenschaftlern besteht, die Welt mit Indie-Rock-Folk zu beglücken verspricht.
Und auch dass die Konzerte klimaneutral stattfinden werden, ist mehr als ein guter Gag: Eine größere Bühne, um die dazu nötigen Technologien vorzustellen, dürfte es kaum geben. Selbst die Diskussion um die Sponsoring-Partner (siehe unten) kann man mit viel gutem Willen als Teil dessen begreifen, worum es Live Earth natürlich auch geht: Bewusstseinsbildung.
All dies wäre niemals möglich ohne den Aufstieg jenes neuen Subjekts, das die "globale Zivilgesellschaft" zu nennen sich eingebürgert hat. Jene Vielheit von Menschen, die sich durch keine staatliche oder wirtschaftliche Institution repräsentiert fühlen. Für ein Wochenende wird Al Gore dieser nun als Präsident der Herzen vorstehen. Legitimiert durch das kulturelle Kapital, das ihm seine Niederlage gegen George W. Bush eingetragen hat und das er durch seine darauf folgende Wandlung zum Klimaschützer und Aufklärer geschickt zu mehren verstanden hat. Wenn es gut läuft, wird er danach genug Geld zur Verfügung haben, um langfristig an Projekten zu Senkung des CO2-Ausstoßes zu arbeiten.
Zwei Dinge sollte man über alldem jedoch nicht vergessen. So erfolgreich und überzeugend sich die Kultur dieses Wochenende wieder einmal aufmacht, die Welt zu retten, so glaubwürdig sie sich als Alternative präsentiert, als die Kraft, die dort etwas bewegen kann, wo die anderen nur auf ihr Gewinninteresse vertrauen und das große Ganze aus dem Blick verloren haben: Nur Politik kann Politik ändern. Und: Kultur ist manchmal auf der Seite des moralisch Guten und Richtigen. Oft aber auch nicht. Interessanter wird sie, wenn das nicht der Fall ist.
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