Literaturkritik im Fernsehen reloaded: Die Wiedergänger
Eine neue Runde will das Konzept des „Litarischen Quartetts“ wiederbeleben. Es soll kritisch und unterhaltsam werden. Geht das?
„Meine Damen und Herren, dies ist keine Talkshow. Was wir Ihnen zu bieten haben, ist nichts anderes als: Worte, Worte, Worte. […] Wir werden über Bücher sprechen und über Schriftsteller, also nichts anderes als über Literatur. Es wird zu einem Streitgespräch kommen wahrscheinlich, das wird unvermeidbar sein, und das wollen wir auch gar nicht vermeiden“. Mit diesem Monolog, bewährt griesgrämig vorgetragen von Marcel Reich-Ranicki, begann am 25. März 1988 im ZDF ein Ding der Unmöglichkeit – eine Sendung, die sich erfolgreich der Literaturkritik widmete
Niemals wurden im deutschen Fernsehen bis dahin und seitdem Musik, Theater, Architektur, Kunst oder gar Filme ernsthaft kritisiert. Nur für Bücher, diese altertümlichen Nischenprodukte, fand das Fernsehen mit dem „Literarischen Quartett“ plötzlich Form und Forum. Die Sendung, bei der das Trio aus „Papst“ Reich-Ranicki und seinen Kritikerkollegen Hellmuth Karasek und Sigrid Löffler jeweils um einen Gast ergänzt wurde, wurde erst 2001 nach 77 Folgen und beinahe 400 besprochenen Büchern eingestellt. Ab 3. Oktober soll sie nun mit neuem Personal wiederbelebt werden.
Geplant sind sechs Sendungen im Jahr, die auf dem gemütlichen Feierabendplatz freitags um 23 Uhr ausgestrahlt werden. Gastgeber ist glücklicherweise nicht Harald Schmidt, wie lange gemunkelt wurde, sondern der Journalist und Publizist Volker Weidermann. Der Literaturkritiker beim Spiegel war zuvor lange für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und davor drei Jahre für die taz tätig. Flankiert wird er vom Schriftsteller Maxim Biller ("Esra“), der unter anderem Kolumnen für die F.A.S. schreibt, und der WDR-Moderatorin Christine Westermann (“Zimmer frei!“), die nebenbei auch Literatur produziert (“Baby, wann heiratest du mich?“) und im Radio eine regionale Büchersendung präsentiert ("Buchtipp“, WDR2).
Die Kritik steht nicht an erster Stelle
Komplett wird das Quartett durch wechselnde Gäste auf dem freien Platz, „den wir mit Sicherheit sehr regelmäßig mit einem professionellen Kritiker besetzen werden“, wie Weidermann erklärte – wohl auch, um vorab die Kritik übergangener Kritiker zu kontern, dass es sich bei ihm ansonsten um den einzigen „professionellen Kritiker“ in der Runde handelt. Eine Nachfolge von Reich-Ranicki weist Weidermann weit von sich, wie er in der Zeit erklärte: „Ich heiße anders, ich sehe anders aus, ich war nicht im Warschauer Getto, ich habe eine andere Stimme, ich bin ein paar Jahre später auf die Welt gekommen“. Ansonsten solle aber das alte Konzept als bewährt übernommen werden, dass Leute Firlefanz-frei über Literatur reden: „Keine Innovation.“
Darüber hinaus kommt das neue Format dem Publikum ganz im Sinne von ZDF-Kulturchef Peter Arens entgegen, der sich auf „Unterhaltung, Kritik und Leidenschaft freut“ und so die Kritik eben nicht an die erste Stelle setzt. Während also die Hauptrolle Reich-Ranickis auf den tendenziell schwärmerischen Weidermann und den habituell scharfrichterlichen Biller verteilt wird, tritt Christine Westermann als Wiedergängerin einer Elke Heidenreich ("Lesen!“) auf. Sie wird die von allen akademischen Diskursen unangekränkelte Leseratte spielen und so das leicht tantenhafte Zielpublikum repräsentieren, das anderntags die Buchläden stürmt und kauft, was ihm die Autoritäten am Abend zuvor nahelegten.
Den Buchhandel wird’s freuen, auch kann das Reden über Literatur der Literatur nicht schaden. Damit es auch den Sender freut, muss mehr passieren. Da genügt es nicht, Bücher in die Kamera zu halten oder symbolisch in die Tonne zu werfen, wie etwa Denis Scheck das für die ARD in „Druckfrisch“ macht.
Kann es überhaupt ein richtiges Lesen im falschen Medium geben? Ist nicht vom alten „Literarischen Quartett“ vor allem der cholerische Affekt in Erinnerung? Gerade die Ausbrüche des Intellektuellen Reich-Ranicki waren im Grunde gut gespielte Durchbrüche zu einem Antiintellektualismus, den als populäres Ressentiment bisher noch jedes breite Publikum beklatscht. Vielleicht ergibt sich zwischen „Weidermanns Worte, Worte, Worte“ und einer „Maxim Biller Show“ ja noch der eine oder andere Gedanke. Das wäre ein Ziel, aufs Innigste zu wünschen.
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