piwik no script img

Literatur und MachtJournalisten verändern China

Die dissidentischen Schriftsteller, die im Westen als wichtige Stimmen gelten, erreichen in China nur wenige. Es sind kritische Journalisten, die das Land wirklich bewegen.

Immer mehr junge Chinesen lesen für gewöhnlich nur noch im Netz. Das heisst sowohl den etablierten Schriftstellern als auch den Dissidenten laufen die Leser weg. Bild: dpa

George Orwells "1984" finde just hier, in Frankfurt statt, meint der chinesische Exil-Schriftsteller Ma Jian, der seit vielen Jahren in London lebt. Die mehr als hundert zur Buchmesse angereisten chinesischen Verlage verbinde nämlich folgendes: "Sie alle werden von der Kommunistischen Partei kontrolliert."

Die Regimekritikerin Dai Qing hingegen, die trotz des Eklats im September auf der Buchmesse und auf der Veranstaltung "Literatur und Macht: 1989. Folgen für die deutsche und die chinesische Literatur" zugegen war, ließ wiederum durchblicken, es sei durchaus möglich, die Kontrolle der Verlage zu umgehen. Sie selbst habe auf eigene Faust Publikationen drucken lassen, ohne über die normalerweise notwendige offizielle Lizenznummer zu verfügen. Außerdem sei Hongkong als Sonderzone eine feste Burg für die Publikation chinesischsprachiger Werke von dissidentischen Autoren.

Die von den chinesischen Nachrichtenanstalten und Verlagen zusammengestellte offizielle Verlegerdelegation und die jetzt auf der Buchmesse vertretenen dissidentischen Autoren repräsentieren Extreme: Während die offizielle Seite keine Mühe scheut, das Aufblühen und die Vielfalt des chinesischen Verlagswesens zu bezeugen, offenbaren die Dissidenten die dunkelste Seite unseres Landes, etwa dass ein Schriftsteller wie Liu Xiaobo allein wegen seiner Ansichten hinter Gitter kommt.

Die meisten Chinesen allerdings stehen heute irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen. Über sie sollte viel mehr gesprochen werden. Denn auch sie, die schweigende Mehrheit, ist in ihrer Meinungs- und Redefreiheit eingeschränkt.

Gleichzeitig nehmen ihre Freiheiten im Alltag beständig zu. Wenn jemand im privaten Raum über Staatschef Hu Jintao flucht, wird deswegen keine Geheimpolizei an der Wohnungstür klingeln und ihn abholen. Auslandsreisen und der Konsum von Luxusgütern sind ohnehin en vogue, zumal bei der jungen urbanen Mittelschicht.

Tatsächlich stehen beide Seiten vor einem ganz anderen und diesmal gemeinsamen Problem: Immer mehr junge Chinesen lesen für gewöhnlich nur noch im Netz. Das heißt, sowohl den etablierten Schriftstellern als auch den Dissidenten laufen die Leser weg. Mit dem Effekt, dass nur noch die wenigsten Autoren vom Schreiben leben können. Und diese Entwicklung geht weiter.

Hinzu kommt, dass es für so gut wie keinen Schriftsteller mehr auch nur wünschenswert wäre, sich kostenlosen Wohnraum zuschanzen zu lassen. Das nämlich würde automatisch Systemnähe signalisieren. Und schon damit ist alles gesagt. Die guten alten Zeiten sind also schon seit mindestens einer Dekade vorbei. Und ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung: Heute sind Popstars die Popsstars. In den goldenen 80er Jahren waren noch Lyriker wie Bei Dao und Gu Cheng die Stars. Traten sie in den Universitäten auf, wurden sie von tausenden von Studenten umringt. Und auf der größten Buchmesse der Welt? Lediglich 30 Zuhörer nahmen am heutigen Symposium zum Thema Literatur und Macht teil, alles Deutsche, davon allein 20 Journalisten.

Es ist schon einigermaßen erstaunlich, dass die deutschen Medien den politischen Anwürfen der dissidentischen Schriftsteller so viel Beachtung schenken. Natürlich haben diese Autoren angesichts der ihnen widerfahrenden ungerechten Behandlung meine Sympathien. Trotzdem muss ich darauf hinweisen: Ihre Stimme findet in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung in China keinen Widerhall. Insbesondere die im Ausland lebenden chinesischen Autoren, wie etwa der bereits erwähnte Ma Jian, sind von der Masse der Bevölkerung isoliert.

Tatsächlichen Einfluß auf China haben im Moment vielmehr die in den Massenmedien aktiven Journalisten, Akademiker und Gesellschaftskritiker. Ihre Berichte und Kritiken befördern auf verschiedensten Ebenen den Prozess der Demokratisierung Chinas. Bei uns – und das muss man im Westen erstmal begreifen – agieren die Wirtschafts- und Umweltjournalisten wie die Paparazzis im Westen. Sind machen die Meinung und sie verdienen als Meinungsmacher viel mehr Aufmerksamkeit als die Literaturszene.

ZHOU WENHAN; geb. 1978, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt vor allem für Chinas bekannteste Wochenzeitung The Economic Observer und Phönix Weekly. Bis 2008 war er als Kulturjournalist bei der Neuen Pekinger Zeitung tätig.

Aus dem Chinesischen von Petra Mann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • P
    pekerst

    "In den 80er wahren noch Lyriker die Popstars Chinas." Frau Mann sollte zur Kenntnis nehmen: "80ern waren".