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Literaten: Raten & Gewinnen

■ Kolik in Venedig

Kolik in Venedig - Er war von Geburt ein Graf. Aber mit einer „Epheu-Guirlande“ krönte er sich selber auch zum Dichterfürsten. Er begehrte stürmisch einen Herrn Schmidtlein zum Geliebten und nannte ihn „Adrast“. Die gutbürgerliche Welt reagierte pikiert. Ausgerechnet Heinrich Heine machte sich zum Sprachrohr der Sitte: „Trister Freudenjunge“ nannte er den Grafen

Trist allerdings war sein Leben schon. Seine Berufschancen als Offizier oder Jurist reizten ihn nicht. Und Herr Schmidtlein wollte kein Adrast, sondern Professor werden. Der verliebte Graf wurde geopfert

Er flüchtete ins Reisen und in die strenge Kunstform. 1824 lebte er zwei Monate in Venedig. Seine Sonette und Elegien verwandeln den Hautgout der damals schon sterbenden Stadt in klaren Glanz

Der Körper freilich ließ sich nie ganz stillstellen. 1826 verließ er Deutschland für immer. Rastlos streifte er neun Jahre lang durch Italien. Dann starb er an einer Überdosis Tabletten, die er aus Angst vor der Cholera eingenommen hatte. Ein Tagebuch dokumentiert seine umfassende Bildung, seine Verliebtheiten und Hypochondrien. Aus einer Pilzvergiftung in Venedig wird im Tagebuch ein Seelendrama. In der Betrachtung schöner Kunstwerke findet es ein Happy -End. Wie hieß der kranke Schönheitsjünger mit seinem adeligen Namen

In der Nacht vom Einundzwanzigsten zum Zweiundzwanzigsten hatte ich mit einem heftigen Übelbefinden zu kämpfen. Ich mußte aus dem Theater, da ich eine unleidliche Kolik empfand, die sich in ein starkes Erbrechen und eine heftige Diarrhöe auflöste, ohne daß die Schmerzen selbst nachgelassen hätten. Ein Gericht Schwämme, worunter einige giftige gewesen sein mögen, scheint diesen Zustand hervorgebracht zu haben. Da der Schmerz immer stärker wurde, so mußte ich die Cameriera rufen und in den „Scudo di Francia“ schicken, den Doktor Baum holen zu lassen, wiewohl ich schon von ihm Abschied genommen hatte, da er den nächsten Morgen mit seinen beiden Reisegefährten abreiste. Dieser ließ ein Haufen wollener Decken auf mich legen, wodurch ich in einen ungeheuren Schweiß kam, und der Schmerz sich gegen Morgen verlor. Ich schenkte Baum, der freundschaftlich teilnahm, das erste Bändchen meiner Schauspiele, das ich zu einem anderen Zweck mitgenommen hatte. Auch die Wirtin und die beiden Cameriere bewiesen mir viele Teilnahme, die eine wachte die ganze Nacht, und die lebhaftesten Beileidsbezeigungen dieser Venetianerinnen, die einen angenehmen Dialekt mit vieler Grazie verbinden, hätten mich erheitern müssen, wenn mein Zustand nicht unleidlich gewesen wäre.

Gestern war ich noch äußerst matt, doch besuchte ich S.Zaccaria, um den schönen Gian Bellin wieder zu sehen. Heute war ich mehrmals auf dem Rialto, in S.Giulian und vor dem Arsenal, um die antiken Löwen noch einmal zu betrachten. Mein beständiger Umgang war der Signor Francese, der ungemein viel Geist besitzt. Sein Einfluß auf mich ist bedeutend. Er ist auch der Meinung, daß die Poesie immer mehr ins Sinken gerät und immer mehr ein Gegenstand des Luxus anstatt eine Sache des Volks wird. Darum geschehe es denn auch, daß den neueren Dichtern die Poesie gar nicht mehr genügen wolle und sie sich in heterogene Gebiete zu werfen suchten, wie auch bei Goethe und Schiller der Fall wäre. Die Welt sei ernster geworden, und Poesie habe aufgehört, das intellektuelle Leben des Volks zu sein. Nur die Griechen hätten das Schöne rein, ohne Beimischung aufgefaßt, und in der neueren Zeit nur die Franzosen. Jede Kunstschule habe etwas an sich, das bloß konventionelle und factice wäre, so auch selbst bei den Griechen.

Das Zeitalter Ludwig XIV. wäre sehr geeignet für eine hohe Entwickelung der Poesie, besonders der dramatischen, gewesen, weil es auf der einen Seite einen bedeutenden Grad von Bildung besessen und auf der anderen die religiöse Überzeugung noch nicht verloren gehabt hätte. Shakespeare und Goethe wären mehr als Dichter gewesen und hätten der Poesie fremdartige Elemente beigemischt. So verlieren wir uns in unendlichen Debatten. Oft auch laß ich mich bloß von ihm belehren, zumal wenn er von Italien und den Italienern spricht, die er eigentlich studiert hat. Dabei spricht er sehr schön, wie die meisten gebildeten Franzosen, und was er sagt, wimmelt von geistreichen Bemerkungen. Ich habe ihm einige Verse und kleine Fragmente des Nibelungenliedes mitgeteilt, die er bewunderte, und das ganze zu kennen wünschte, wiewohl er bezweifelte, ob wir wirklich eine reiche Hilfsquelle in unserer alten epischen Poesie finden würden.

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