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Linksfraktion zeigt Spitzel anÜberwacht und abgezockt

Erst spionierte der LKA-Mann Simon Brenner, dann kassierte er auch noch Fahrtkosten. Nun geht die Linksfraktion rechtlich gegen den Spitzel vor.

Fühlt sich betrogen: Gregor Gysi Bild: dpa

BERLIN taz | Es war der 2. Mai 2010, und der Mann mit dem Namen Simon Brenner war nach Berlin gekommen, um auf Einladung der Linksfraktion auf der Fachkonferenz mitzudiskutieren. Es ging um die Zukunft der Hochschule, um die umstrittenen Bologna-Reformen und um Kapitalismuskritik.

Aber weil der Mann nicht, wie behauptet, ein Student aus den Reihen des Heidelberger SDS war, sondern ein verdeckter Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA), geht die Linksfraktion im Bundestag nach taz-Informationen nun rechtlich gegen den Beamten vor - wegen Betrugs.

Denn der Polizist mit dem Tarnnamen "Brenner", den Studenten aus der linken Szene in Heidelberg im Dezember 2010 enttarnten, war bei der Linksfraktion nicht nur undercover unterwegs. Er wollte von ihr auch noch die Fahrtkosten erstattet bekommen - und die Fraktion zahlte. Wie aus einer von Linksfraktionschef Gregor Gysi unterzeichneten Strafanzeige, die der taz vorliegt, hervorgeht, soll "Brenner" am 6. Mai bei der Fraktion eine Fahrtkostenerstattung in Höhe von 40 Euro beantragt haben. Der Betrag wurde umgehend erstattet.

"Dabei konnte die Mitarbeiterin nicht davon ausgehen, dass es sich beim Antragsteller um einen verdeckten Ermittler handelte; die Kenntnis dieses Umstandes hätte eine Bewilligung ausgeschlossen", heißt es in der bei der Berliner Staatsanwaltschaft erstatteten Anzeige.

Unklar sei auch, auf welcher Grundlage der Beamte in Berlin operiert habe. "Da der Einsatz verdeckter Ermittler sich meiner Kenntnis zufolge auf konkrete Personen beziehen muss, ist der Einsatz zur willkürlichen Datenbeschaffung auf der Veranstaltung einer Bundestagsfraktion ein Vorgang von hoher Brisanz und von außerordentlichem öffentlichem Interesse", so Gysi.

Nach Angaben des Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch hatte der baden-württembergische Ermittler in Berlin allerdings keinen konkreten Spitzelauftrag. In einer Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus hatte Glietsch im Januar gesagt, der Beamte sei lediglich "zum Ausbau seiner Grundlegende" in die Hauptstadt gekommen. Dabei soll es zu keinen Datenerhebungen gekommen sein.

Diese Frage und der Verbleib der 40 Euro werden nun die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Denn für einsatzbedingte Spesen hätte auch die zuständige Behörde aufkommen können. Ob dem baden-württembergischen LKA das für die Überprüfung der Linksfraktion zu teuer war, wollte leider weder das LKA noch das zuständige Innenministerium beantworten.

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14 Kommentare

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  • AK
    Astrid Karger

    Das ist ja nicht zu fassen. Wie kann so etwas nur passieren.

  • L
    Liberiner

    Weiß man mit welchen Leuten das LKA nach dem Krieg besetzt war, kennt man ja auch dessen Gesinnung. Erst mal in den eigenen Räumen kehren1

  • M
    Mac-Lennox

    Wo Bespitzelte dafür zahlen, dass sie eben ausgehorcht werden, nennt man also Legendenbildung. Mit dieser Aussage hat sich Glietsch einen Komikerpreis mehr als redlich verdient.

  • A
    abcdelf

    Der Spitzel sollte sich seine Fahrtkosten bei den Bullen erstatten lassen, das machen andere Arbeitnehmer ja schließlich auch.

  • N
    non-theist

    Jens Müller ist Rechtsanwalt und beinharter FDPist.

  • M
    Marvin

    Ich denke, der Chips-Cola-Kaffee-Vergleich hinkt gewaltig. Es mag insgesamt ein Kniff sein, aber der Vergleich passt nicht, denn es war ja kein Termin "zu Hause" und dementsprechend nicht das Geld einer privaten Person, sondern "Aufwandsentschädigungen", Geld für einen bestimmten Job. Das ist schon eher vergleichbar mit der Situation, dass man eineN GeburtshelferIn einstellen möchte & jemanden einstellt, der sich als ebensolcher bezeichnet, in Wahrheit aber Bestatter von Beruf ist. Also ... Vorspiegelung falscher Tatsachen, Täuschung ... ja, schon sowas wie Betrug, oder nicht?

  • T
    Thomas

    Bernd Goldammer:

    Zwanzig Jahre nach Stasi-, oder sollte ich sagen Linkspartei-Vor-Umbennenung-Geheimpolizei-Abteilung, -Abschaffung werden tatsächlich immernoch Gruppierungen, deren Verfassungstreue fragwürdig ist, überwacht. Schrecklich!

     

    Hübsch finde ich die Schlagzeile der taz: Überwach und abgezockt. 40 Euro. Da kostet doch jedes Hummeressen von Frau Wagenknecht deutlich mehr, von dem sie dann hinterher die Bilder löscht, in alter Stasimanier, auch ohne diejenigen, die die Bilder aufnahmen, zu fragen.

  • O
    Ottokar

    Diese Spitzelaktion stinkt ja insgesamt. Ich finde es aber nachvollziehbar, dass es die Glaubhaftigkeit des Spitzels steigert, wenn er an einer solchen Diskussion teilnimmt und sich die Fahrtkosten erstatten lässt, wie das "echte" Teilnehmer auch tun. Nachdem er jetzt enttarnt ist, soll er die Spesen halt zurückzahlen und sichs vom LKA bezahlen lassen; damit ist die Sache erledigt (zumindest in diesem Punkt; insgesamt ist der Einsatz "Brenners" natürlich nicht akzeptabel)

  • FB
    Frank Beckenhauer

    Meine Güte, die Stasi-Partei recht sich über Spitzel auf. Das ist ja lustig.

  • S
    Steffen

    Zum Glück sind Sie kein Rechtsexperte Herr Müller, denn dann wäre der Staat ganz am Ende.

     

    Der besagte Spitzel hat sich als Student an einer Uni ausgegeben ... damit wurde bereits eine Straftat begangen ... dann hat er sich widerrechtlich Zugang zu einer Linken-Organisation verschafft .... dann hat er sich mit dieser Hochstapelei Zugang zum Linkentreffen verschafft .... dann auch noch dreist und widerrechtlich Fahrtkosten erschlichen.

     

    Eine Kette von Straftaten die jetzt zu Recht aufgedeckt und gerichtlich behandelt werden.

     

    Ihr Beispiel ist lächerlich und am Thema vorbei, die Spitzelei selbst scheint Ihnen allerdings überhaupt keine Probleme zu bereiten ...

     

    Aber so war es in der Geschichte schon immer ... solange man nicht selbst betroffen ist interessiert einen fremdes Leid seltenst bis garnicht.

     

    Wundert mich eh nicht das sich kaum ein Schwein dafür interessiert, die Systempresse hält das bewusst unter der Glocke und selbsternannte Anti-Linke finden das natürlich gaaanz super und richtig.

  • OO
    Oh oh oh

    @jens

     

    was willst du uns denn mit deinem bsp. erklären? andere gründe kommen dir nicht in den sinn? was könnte denn noch bei einem verfahren herauskommen? schon mal darüber nachgedacht?

  • W
    Weinberg

    Es ist nicht auszuschließen, dass der Polizeispitzel „Simon Brenner“ sowohl von seinem Arbeitgeber (= Innenministerium Baden-Württemberg) als auch von der Linksfraktion Fahrtkosten kassiert hat.

     

    Im Übrigen gehe ich davon aus, dass im Innenministerium des „Ländles“ rechtzeitig vor dem anstehenden Regierungswechsel die Akte des Polizeispitzels geschreddert wird!

  • BG
    Bernd Goldammer

    Zum Aufbau einer Legende abgestellt? Vertreter von Millionen Wähler werden also doch bespitzelt? Zwanzig Jahre nach Stasi- Abschaffung? So sieht der Rechtsstaat also aus!

  • JM
    Jens Müller

    Diesen juristischen Kniff finde ich genial. Nehmen wir mal an, ich lade meinen Partei-Stammtisch zu einem Arbeitstreffen zu mir nach Hause ein. Dabei gibt es dann auch ne Tüte Chips, 2 Flaschen Cola und wenn jemand will, kriegt er nen Kaffee (Kosten für mich: 25 Cent aus der Kapselmaschine).

     

    Es sei nun ebensoein Spitzel dabei wie im vorliegenden Fall. Der möchte nen Kaffee und kriegt auch einen. Wenn ich gewusst hätte, dass er ein Spitzel ist, hätte er natürlich keinen bekommen.

     

    Ich bin also im Irttum, und erleide auch einen Vermögensschaden von 25 Cent. Cola & Chips zählen uU ja nicht, weil Flasche/Tüte eh offen waren und sonst halt schlecht geworden wären ...

     

    Ist das nun Betrug?