Linksextremismus in Stasi-Gedenkstätte: Extrem erwartbare Debatte
Konservative Herren diskutieren in der Stasi-Gedenkstätte über Linksextremismus. Anlass: der Jahrestag der G20-Krawalle.
Öffentlich über politischen Extremismus zu diskutieren ist eine heikle Sache. Gut, wenn man da im Vorhinein weiß, wie die Debatte ablaufen und vor allem, was deren Ergebnis sein wird. „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?“ lautet der Titel einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Offizieller Anlass ist der erste Jahrestag der Krawalle in Hamburg beim G20-Gipfel. Ein Blick auf die Besetzung der Runde verrät, was deren Fazit sein dürfte: „Ja, natürlich.“
Denn dort sitzen laut Ankündigung der Gedenkstätte sechs Männer. Und kaum einer in dieser Herrenrunde gilt als Experte für Linksextremismus, viele sind eher für rechte Positionen bekannt. Dabei sind Stephan Mayer, CSU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, und der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der mehrfach wegen seiner inhaltlichen Nähe zu Pegida und AfD in die Kritik geraten ist.
Zudem sitzen da der Geschäftsführer der Drogeriekette Budnikowsky, deren Filiale während der Proteste geplündert wurde und der als „Opfer der Gewalt“ angekündigt wird, sowie Niels Sahling, der Bundesjugendvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Der Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber muss in diesem Kreis fast schon als der Linksradikale gelten, obwohl er für die linke Szene Berlins wegen seiner Positionen ein Feindbild ist.
Tatsächlich verspricht Schreiber, er werde am Donnerstagabend ein differenziertes Bild der Szene zeichnen: „Nicht jeder Linker ist linksextrem, das werde ich deutlich machen“, sagte er am Mittwoch der taz. Er sei gespannt auf die Debatte, auch wenn er mit der Besetzung nicht ganz glücklich scheint. Immerhin werde überhaupt mal über die Thematik diskutiert, so Schreiber, und vielleicht ergebe sich daraus eine Fortsetzung, in der die Runde dann „anders gemischt“ sein werde.
Die Gedenkstätte im einstigen Stasi-Gefängnis legt seit 2011 einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf „Linksextremismus in Geschichte und Gegenwart“, sagt deren Pressereferent André Kockisch. Jugendlichen ab 16 Jahren werden kostenlose Seminare angeboten: „Antifa heißt Angriff“ – mit Gewalt gegen Rechtsextremismus?“, oder „Die Linke – eine extremistische Partei?“ Finanziell unterstützt wird das Programm vom Bundesministerium für Familie und Jugend. Man wolle so „Verständnis für die Demokratie wecken“, sagt Kockisch.
Die Veranstaltung „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?“ Donnerstag, 19 Uhr, Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstr. 66. Nur nach Anmeldung per Mail an veranstaltungen@stiftung-hsh.de. Platz ist für etwa 80 Besucher.
Die Kundgebung „Die extreme ‚Mitte‘ stören! – Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!“ 18 Uhr, vor der Gedenkstätte Hohenschönhausen. (taz)
In diesem Rahmen findet auch die Diskussion am Donnerstag statt. Dort zu Beginn wird ein gut sechsminütiger 360-Grad-Film über die Hamburger Krawalle gezeigt, der künftig in Seminaren genutzt werden soll, so Kokisch. Man habe zum G20-Gipfel mit Ausschreitungen gerechnet, sagt Kokisch, und daraufhin die aufwendige Technik eingesetzt.
Der Pressereferent verteidigt die Besetzung der Diskussion: „Wir reden nicht mit Linksextremisten, sondern über sie“, sagt Kokisch. Auf die Idee, zumindest einen anerkannten Experten für das Thema einzuladen, ist man bei der Gedenkstätte indes nicht gekommen. Dabei gibt es Bewegungsforscher und auch linke Politiker sogar vor Ort in Berlin in durchaus relevanter Zahl. Dennoch betont der Sprecher der Gedenkstätte: „Wir lassen uns nicht politisch instrumentalisieren; wir sind politisch neutral.“
Daran zweifelt aber nicht nur die Antifa Nord-Ost, die zu einem Gegenprotest um 18 Uhr aufruft. Titel: „Die extreme ‚Mitte‘ stören. Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!“ Laut Polizei werden dazu 50 Menschen erwartet.
Zudem war die Stasi-Gedenkstätte in letzter Zeit mehrfach in die Schlagzeilen geraten, weil Mitarbeiter und Unterstützer hart rechte Positionen vertreten hatten. Ende Mai distanzierte sie sich von dem ehemaligen politischen Gefangenen Siegmar Faust. Grund waren AfD-nahe und den Holocaust relativierende Äußerungen von Faust. Gedenkstättenchef Hubertus Knabe kündigte an, Faust nicht mehr mit Führungen zu betrauen.
Der bisherige Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, Jörg Kürschner, muss sich nach ähnlicher Kritik von seinem Posten zurückziehen. Er werde bei der nächsten Wahl des Vorstands nicht erneut für den Posten kandidieren, erklärte er Mitte Juni laut Berliner Zeitung. Kürschner schreibt seit einiger Zeit AfD-nahe Texte für die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit. Für Außenstehende sei nicht immer erkennbar, „dass der Verein nur eine private Vereinigung ist, die unabhängig von der Gedenkstätte agiert“, hatte Knabe dazu gesagt. Deshalb würden die internen Auseinandersetzungen auch der Stiftung der Gedenkstätte schaden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!