: Linkisch mit der Rechten
■ Der Verein „IgeL“ will LinkshänderInnen zu mehr Selbstvertrauen verhelfen
Bei unserer Begrüßung schalte ich eine Sekunde zu spät, und statt daß sich unsere Hände umschließen, stoßen sie mit den Fingerspitzen zusammen. Ulla Laufs nämlich, die Gründerin der „Initiative gelassener LinkshänderInnen“ (IgeL), hat mir mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der ich meine Rechte ausstreckte, ihre Linke hingehalten. Meine linkische Reaktion übersieht sie höflich, aber natürlich ist dieser Seitenwechsel jeweils ein wohlkalkulierter Denkanstoß für Rechtshänder, die sonst nie ein „falsches“, ein „böses Händchen“ benutzen.
Entschieden und kämpferisch tritt Ulla Laufs (45) für eine „gelassen“ ausgelebte Linkshändigkeit ein. 30 Prozent aller Menschen sind nach amerikanischen Schätzungen geborene Linkshänder. Viele von ihnen aber sind ahnungslose Pseudo-Rechtshänder, die schon als Kinder gezielt oder beiläufig umerzogen wurden. Ihr Leben lang begreifen sie nicht, warum sie unglücklich und ohne Selbstvertrauen sind, warum sie ständig unter dem Gefühl leiden, es nicht richtig zu machen und ihre Angelegenheiten nicht selbstbewußt klären können. Der Grund, sagt Laufs, liegt in der bitteren Kindheitserfahrung, sich in ihrer Eigenheit nicht durchsetzen zu können.
„Nein!“, sagt Ulla Laufs entschieden, „die negative Einstellung gegenüber der Linkshändigkeit hat sich nicht geändert. Sicher, die Leute sagen, sie hätten nichts gegen Linkshänder, genausowenig wie gegen Juden oder Asylsuchende... Die Umerziehung von Linkshändern ist pervers wie eine Folter und beginnt in unserer leistungsbezogenen Gesellschaft oft schon vor der Schulzeit, weil die Eltern Angst vor der Unangepaßtheit haben.“
Erst nach ihrem „Coming Out“ vor fünf Jahren, als Ulla Laufs mit ihrer eigenen antrainierten Pseudo-Rechtshändigkeit zugleich das krankmachende Bedürfnis nach Überanpassung über Bord geworfen hatte, wagte sie, sich den Folgen und Kränkungen ihrer verdrängten Linkshändigkeit zu stellen. Sie studiert die Fachliteratur, besucht neurologische Kongresse, hält Vorträge und hat jetzt schon die zweite „IgeL“-Selbsthilfegruppe in Bremen gegründet. Ein Buch über die Wendung in ihrem Leben ist schon geschrieben, eine begehrte Broschüre klärt Eltern mit Linkshänder-Kindern auf. Außerdem macht die Broschüre anderen Pseudo-Rechtshändern Mut, ihre Linkshändigkeit „zurückzuschulen“, um endlich mit sich selbst in Einklang zu kommen.
„Linkshänder brauchen die größte Unterstützung“, so Ulla Laufs. „Umso mehr, als die meisten Pseudo-Rechtshänder ihre scheinbar erfolgreich überwundene Linkshändigkeit schlicht verdrängen. Sie haben Angst, ihr Anderssein, das bis in die Art des Denkens reicht, einzugestehen. Wir Linkshändigen haben eine dominante rechte Hirnhemisphäre, das bedeutet wir sind intuitiv, kreativ, spirituell, dafür aber oft langsamer im streng rationalen Denken.“
Auch ist eine „Zurückschulung“ nicht unbedingt einfach. Während aufgeklärte Eltern ihre Kinder einfach in Ruhe lassen können und vielleicht dafür sorgen sollten, daß sie eines der nach rechts umzublätternden Kinderbücher bekommen und ab und zu in Linkshänder-Krabbelgruppen zusammentreffen, haben Erwachsene gegen früheste Konditionierungen anzugehen. Selbst Ulla Laufs fällt es immer noch schwer, spontan mit der linken Hand zu essen: „Klar, wenn es den Keks immer nur für die rechte Seite gab..“
Vom nachträglichen Schreibenlernen mit der ungeübten Hand raten Fachleute sogar ab, weil das zu ernsthaften, neurologisch bedingten Schreibstörungen führen kann. Aber, so Ulla Laufs, „die Belohnung für die Zurückschulung der Linkshändigkeit ist ein nie geahntes Gefühl des Einverstanden-Seins mit sich selbst.“
Wer dabei nicht nur ignorant lächelt, sondern eine neidvolle Sehnsucht in sich aufsteigen spürt, der gehört wahrscheinlich zu den Pseudo-Rechtshändern und kann sich an folgende Kontaktadresse wenden: Ulla Laufs, Lüdemannweg 30, 28867 Lilienthal, Tel. 04298-31900.
Cornelia Kurth
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