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Linkes Debatten-MagazinHoffen auf ein helles Wunder

Das kriselnde „Neue Deutschland“ startet online ein Portal für junge Linke. „Supernova“ will Betroffene und Aktivisten schreiben lassen.

Leuchtet und glitzert so schön – eine echte Supernova, abgebildet von der Nasa im August 2011 Foto: Nasa Cxc Mit L. Lopez Ha/dpa

Wenn sehr massereiche Sterne am Ende ihrer Lebenszeit explodieren, können sie noch einmal sehr hell aufleuchten. Sie können ihre Helligkeit um ein Milliardenfaches vergrößern und extrem viel Energie freisetzen. Supernova nennen Wissenschaftler dieses seltene Phänomen.

Je nach Betrachtung kann eine Supernova also ein helles Wunder sein. Oder der Anfang vom Ende.

Jan Brock glaubt an das Wunder. Er ist Videoredakteur bei der Tageszeitung Neues Deutschland. Seit zwei Jahren arbeitet er an einem Online-Lifestyle-Magazin für junge ND-Leser. Supernova soll es heißen und am Mittwoch starten. „Wir brauchen Platz für Neues, machen vorher Unsichtbares sichtbar, mit einer sehr hellen Explosion“, begründet Brock die Namenswahl.

Das Portal richtet sich an Menschen zwischen 20 und 40, die sich für linke Debatten interessieren: Bewegungen wie #MeToo oder die Seebrücke sollen diskutiert werden, Club- und Drogenkultur, Kunst und Musik. „Vielen Linken stellen sich beim Wort Lifestyle die Nackenhaare hoch“, sagt Christin Odoj, ebenfalls ND- und Supernova-Redakteurin. „Was wir mit dem Begriff ‚Lifestyle‘ meinen, ist: Wir werden uns nicht davor scheuen zu berichten, welche Turnschuhe man gerade auf Demos trägt.“

Große Konkurrenz

Viele Medienhäuser haben in den vergangenen Jahren Portale für Millennials gestartet, also Menschen zwischen 20 und 35. Schon lange betreibt die Süddeutsche Zeitung jetzt.de, 2015 startete SpiegelOnline Bento. Dazu kamen Orange vom Handelsblatt und ze.tt von der Zeit. ARD und ZDF starteten Funk, wo vor allem Videos fürs Netz produziert werden. Sie alle sollten auch Konkurrenz zu den US-Portalen sein: Buzzfeed und Vice, die eigene Redaktionen in Deutschland haben.

Die meisten dieser Redaktionen berichten bereits über Themen, die Linke interessieren: Sexismus, Rassismus, Identitäts- und Körperpolitik. Als vergangenen Montag der rechte Mob durch Chemnitz zog, waren es Videos von Vice und Watson, die in den sozialen Medien tausendfach geteilt wurden.

„Der entscheidende Unterschied zu den bestehenden Portalen ist: Wir sind bewegungsnah“, sagt Christin Odoj. Viele Artikel, die bei Supernova erscheinen werden, sollen nicht von der Redaktion, sondern von Aktivisten geschrieben werden – von der Antifa-Ortsgruppe bis zu großen Bewegungen wie BlackLivesMatter oder den Anti-Braunkohle-Protesten Ende Gelände.

Nur: Ist das noch Journalismus? Oder ein hübsch gestaltetes Online-Flugblatt?

„Ich halte nicht viel von einem Journalismusbegriff, der davon ausgeht, dass wir unseren LeserInnen die Welt erklären“, sagt Jan Brock. „Unsere Aufgabe ist es, Leuten zuzuhören, die unmittelbar erzählen können, was sie bewegt. Wir wollen denen eine Stimme geben, die sich dem kapitalistischen Irrsinn widersetzen.“ In dem Editorial, mit dem sie am Mittwoch online gehen, heißt es: „Eine andere Welt ist möglich.“ Auf der Supernova-Facebook-Seite schrei­ben sie: „Wir retten den Journalismus. Von links, feministisch, divers und mit Style.“

Kleine Redaktion, große Autorenschaft

Drei bis vier Texte sollen pro Woche bei Supernova erscheinen. In der Redaktion sind sie momentan zu dritt. Das ist nicht viel: Die Konkurrenz von Bento beschäftigt 20 feste Mitarbeiter, ze.tt 14. Allerdings hat auch ze.tt vor drei Jahren mit nur fünf Beschäftigten angefangen.

Das Neue Deutschland braucht dringend neue LeserInnen. Unter den überregionalen Tageszeitungen hat in den vergangenen Jahren nur die Bild stärker an LeserInnen verloren als das ND. Hatte das einstige Propagandablatt der SED vor der Wende noch eine Auflage von gut einer Million, liegt die heute noch bei rund 24.000 – Tendenz: stark sinkend. Die meisten Verluste, gut 60 Prozent, seien auf Tod und Krankheit der Abonnenten zurückzuführen, schrieb der Verlagsleiter Olaf Koppe gerade. Im vergangenen Jahr stand eine Insolvenz kurz bevor. Die Partei Die Linke, die Miteigentümerin der Zeitung ist, gibt der Zeitung noch wenige Jahre. Supernova soll also helfen, der Tageszeitung neuen Schwung zu geben.

Während viele andere Verlage ihre jungen Portale auch nutzen, um neue Werbeformen wie Native Advertising zu erproben, also als Journalismus getarnte Anzeigen, kommt das für Jan Brock nicht infrage. „Versteckte Anzeigen passen nicht zu unserem politischen Anspruch. Das würde uns unsere Leserschaft übelnehmen.“

Stattdessen will Brock mit Supernova freiwillige Bezahl­modelle ausprobieren. Für ein Jahr hat die Geschäftsführung zugesagt, die Webseite zu finanzieren, danach soll sie sich allein tragen. Wie genau, ob mit einem Förderclub, in den Leser einzahlen, oder mit einem Supernova-Printmagazin, ist noch unklar.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das "nd" mag seinen Namen ruhig behalten. Der Grund für den Rückgang ist ein anderer. Nach der Wende hat sich das "nd" bemüht einen kritischen Journalismus zu präsentieren und auf emotionale Mätzchen der heutigen Journalistenschulen vom Schlage Henri-Nannen und RTL zu verzichten.

    Doch auch Journalisten werden älter und es ist genügend Nachwuchs, wenn auch sehr zweifelhafter Qualität, vorhanden.

    Das sind dann Kinder aus gut kleinbürgerlichen Hause, die wegen ihres gerade so eben bestandenen Abiturs "was mit Medien" machen, weil es zu einem richtigen Studium nicht reichte. Ihre Qualifikation: "Sie haben doch immer so schöne Aufsätze geschrieben". Von den lächerlichen bis peinlichen "Ich-Reportagen" oder erfundenen Geschichten zu vorgebenen Themen ganz zu schweigen.

    Das trifft nun nicht nur auf das "nd" zu sondern auf die gesamte Branche, aber es erwischte eben diese Zeitung, die schon durch die drohende Insolvenz angeschlagen war.

    Das zeigt sich dann auch bei der Korrektur. Wenn da peinliche Rechtschreibfehler nicht korrigiert werden, was gerade in der "online-Ausgabe" leicht zu bewerkstelligen wäre, dann zeigt das, wie dünn die Personaldecke ist.

    Ferner hat das Blatt die Kommentarfunktionen schon vor über einem Jahr eingestellt. Damit wurden dann auch die kritischen Leser verprellt.

    Das ist wirklich schade, denn im linken Spektrum sollten doch mehr Zeitungen vertreten sein. Was nach der Wende so hoffnungsvoll begann, das bröckelte mit dem Verschwinden der "Wochenpost" immer schneller.

    Der Vergleich mit der "BILD"-Zeitung ist unzulässig. Diese Gazette dient nicht der Information, sondern der Meinungsmache und Manipulation. Das gelingt heute in den sozialen Medien viel besser. Deshalb stirbt die Leserschaft dieses Springer-Organs schneller aus.

  • 9G
    98983 (Profil gelöscht)

    Wenn die nd halt einfach das d aus ihrem namen nehmen würde, gäbe es sicherlich mehr neue und junge leser/innen...