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Linker PopulismusEmpirische Gespenster

Knapp überm Boulevard

von Isolde Charim

Die Frage, die derzeit auf der linken politischen Tagesordnung ganz oben steht, ist jene nach dem Populismus: Ist linker Populismus Ausweg aus der gegenwärtigen Krise? Kann, soll, darf die Linke das „Volk“ anrufen?

Warum es zu dieser Frage kommt, ist eindeutig: Die „sozialdemokratische Lösung“ greift nicht mehr. Damit ist nicht gemeint, dass Sozialdemokraten an der Regierung sind. Es geht vielmehr um einen lange erfolgreichen Gesellschaftstypus, der durch Verhandlungen und Kompromisse die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte eingebunden hat. Er stellte damit, so Stuart Hall, einen „passiven ­popularen Konsens“ her.

Dieser Konsens greift heute immer weniger. Im Süden des Kontinents kann man beobachten, was das bedeutet. Hier geht die ökonomische Krise mit einer ideologischen einher. Das nennt man einen „populistischen Moment“. Das ist jener Moment, wo Gruppen oder ganze Regionen aus der Balance geraten. Dabei geht die affektive Bindung an die soziale Ordnung verloren: Weite Teile werden gesellschaftlich obdachlos, wie Helmut Dubiel es nannte. In solchen Momenten werden enttäuschte Emotionen, desorganisierte Unzufriedenheiten zu „vagabundierenden Potentialen“. Und in solchen Momenten taucht die Frage nach dem Populismus auf.

Aus der Schmuddelecke

Jan-Werner Müller schrieb kürzlich, Linke wollen heute den Populismus aus der Schmuddel­ecke rausholen. Aber wieso ist er überhaupt dort? Weil die politische Rationalität ihn dorthin verbannt hat. Die Linke, auch die ganz Linke, verstand ihren Einspruch, ihr politisches Handeln als rational – bis hin zum Begriff des Klassenkampfes, der sich gänzlich ökonomischen Kategorien verschrieben hat. Es war ­Ernesto Laclau, der einwandte: Die Vorstellung, in politischen Auseinandersetzungen würden einfach ökonomische Klassen aufeinandertreffen, sei eine völlige Reduktion des komplexen politischen Geschehens. Denn Leute wären nicht nur Klassensubjekte, sondern hätten auch andere, ältere Identitätsbestimmungen – etwa Volkszugehörigkeiten. Insofern ist jeder politische Kampf auch ein ideologischer – und die Anrufung als Volk, also linker Populismus, nicht nur nötig, sondern unumgänglich.

Anders als beim passiven Konsens geht es darum, die Massen zu mobilisieren – indem man deren Emotionen aufgreift, ihrer obdachlosen Subjektivität Platz verschafft

Linker Populismus bedeutet die Herstellung eines „Volkes“ – denn das Volk gibt es ja nicht. Es ist eine abstrakte Kategorie. Man muss also eine Art „empirisches Gespenst“ (Dubiel) entwerfen, in dem sich die Leute wiedererkennen sollen. Ein schwieriger Vorgang. Anders als beim passiven Konsens geht es darum, die Massen zu mobilisieren – indem man deren freigesetzte Emotionen aufgreift, ihrer obdachlosen Subjektivität Platz verschafft. Wie zuletzt in Griechenland. Es stellt sich aber die Frage, ob dabei tatsächlich mehr als das kollektive Aus­agieren von Kränkungen erreicht wurde. Auf welcher Ebene die Effizienz des linken Populismus angesiedelt ist, ist also noch offen. Man kann auch sagen: Okay, es gelingt nicht gleich. Wie aber funktioniert der linke Populismus im besten Fall? Er muss das Volk zu einem „Block“ vereinen, gegen die Macht, gegen die Eliten. Darin ist bereits der Kern des Populismus enthalten: Er richtet sich gegen etwas. Er bestimmt sich als Antagonismus.

Unbehagen Volksblock

Unbehagen verursacht das, was nicht erwähnt wird: dass der Antagonismus alleine nicht ausreicht, um so einen Volksblock zu bilden. Es muss noch etwas hinzukommen. Etwas, womit man sich identifiziert. Beim rechten Populismus sind das Ressentiments und Rassismus. Und beim linken?

In Griechenland war es die Nation. Erst die Berufung darauf hat das „Volk“ erstehen lassen. Nun hat uns Laclau auch gelehrt, dass kein politisches Element eine vorgegeben Konnotation habe. Die Nation kann sowohl progressiv als auch reaktionär sein – je nach Zusammenhang. Aber gerade dieser Zusammenhang ist es, der linken Populismus in Europa heute heikel macht. Kann die nationale Berufung, die Nation als popularer Kitt, im Rahmen der EU, im Rahmen des europäischen Projekts (wie auch immer dieses heute aussieht) überhaupt eine progressive Konnotation erhalten?

Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien

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