Linker Buchladen flieht vor Neonazis: Anarchie am Wilhelmplatz
Weil er immer wieder von Neonazis attackiert wurde, musste ein traditionsreicher linker Buchladen in Kiel umziehen. Die Kündigung sei ihr nicht leichtgefallen, sagt die Vermieterin. Jetzt wird neu eröffnet.
KIEL taz | Diese Bücher liegen nicht in jedem Buchgeschäft im Schaufenster: "Der Anti-Struwwelpeter" und "Kleine Geschichte der Anarchie". Auf der Fußmatte prangt ein roter Stern, an der Eingangstür hängen Plakate gegen Atomenergie und die Rente mit 67. Drinnen, in dem L-förmigen Raum, finden sich neben literarischen Neuerscheinungen viele politische Klassiker oder auch Marc Pirschels "vegan lecker lecker!"
Am Kieler Wilhelmplatz feiert an diesem Samstag der Buchladen "Zapata" seine Neueröffnung - und es ist eine erzwungene: Nach fast 25 Jahren hatte der linke Laden umziehen müssen. Ihm sei gekündigt worden, erzählt Inhaber Harald Mücke - "wegen der Neonazi-Übergriffe".
"Ja, das war der Kündigungsgrund", bestätigt die ehemalige Vermieterin Jutta Jessen der taz. Immer wieder war der Laden im vergangenen Jahr rechtsextremen Angriffen ausgesetzt gewesen, gingen mehrfach nachts Scheiben zu Bruch.
Dann wieder, etwa zum Todestag des Adolf-Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess, wurden die Schaufenster von Unbekannten mit Plakaten zugeklebt oder auch zerkratzt, erzählt Buchhändler Mücke: "Die wollten uns einschüchtern."
Er fühle sich "gar nicht besonders mutig", sagt Mücke, der mit seinem leicht schütteren, hellen Haar und dem kleinen Bauch auch wirklich eher zurückhaltend wirkt, "aber wir wollten nicht klein beigeben".
"Diese Belastung war für die Hausbewohner kaum noch zu ertragen", sagt Vermieterin Jessen und betont, dass sie das Ganze ja schade finde. Habe sie doch selbst früher in einem linken Buchprojekt mitgewirkt und gehe bis heute zu Aktionen gegen Rechts. "Aber", sagt sie, "die anderen Mieter fühlten sich nicht mehr sicher."
Mücke widerspricht: "Die Mieter haben nicht auf eine Kündigung gedrängt." Vielmehr hätten Hausbewohner Kuchen vorbeigebracht, erzählt der Buchhändler, der den Laden zusammen mit einer Kollegin und einer Auszubildenden führt.
Am Holztisch sitzend, an dem sich auch Kunden zum Lesen und Reden hinsetzen können, berichtet der 53-Jährige, wie sehr diese "große Solidarität" geholfen habe und setzt die randlose runde Brille ab: An einschlägigen Feiertagen der Rechten übernachteten Freunde aus der Antifa im Laden.
Und der örtliche "Runde Tisch gegen Rassismus" half, Spenden zu sammeln. Keiner der Angriffe allerdings sei je aufgeklärt worden: "Das Verhalten der Polizei ist für mich der wirkliche Skandal." Immer wieder würde in Kiel die rechte Bedrohung verharmlost, führt er aus.
In der Tat wurden neben dem "Zapata" auch alternative Wohnprojekte und Initiativen angegriffen. Die Täter stammen wohl aus dem Umfeld der rechtsextremen "Aktionsgruppe Kiel".
Vor dem örtlichen Landgericht läuft derzeit ein Berufungsverfahren gegen den Neonazi Christopher R., der vor drei Jahren den Balletttänzer Claudius C. so schwer schlug, das dieser nie wieder wird tanzen können (taz berichtete).
Buchhändler Mücke erzählt von einem Anwohner, der nach einer der rechtsextremen Attacken das Kennzeichen des davonfahrenden Autos notiert habe: "Rechtliche Folgen? Keine!"
Über 30 Jahre schon gibt es den Laden jetzt in Kiel, er hieß auch mal "Barrikade". Bei einem früheren Umzug aber fand der neue Vermieter diesen Namen damals zu radikal.
"Zapata" habe für ihn offenbar harmonischer geklungen, sagt Mücke: "Der wusste gar nicht, dass Emiliano Zapata ein Revolutionär war."
Mitten im Erzählen sieht er nach draußen. Vor dem neuen Schaufenster läuft ein "Glatzkopf" vorbei. Schief lächelnd sagt Mücke: "Die Szene scheint kritische Literatur, das gedruckte Wort wirklich als Bedrohung wahrzunehmen." Und fügt hinzu: "Ganz wie die Nationalsozialisten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“