Linker Aktivismus: Unter falschen Freunden
Was früher links im besten Sinne war, muss es heute nicht mehr sein – aus verschiedenen Gründen. Ein Zwischenruf von zwei früheren linken Aktivisten.
D ies ist der Versuch, die Situation alter Linker zu beschreiben, die in den 1970er Jahren antistalinistisch waren und in den 1980er Jahren ihre Hoffnung auf die Grünen setzten. Noch immer engagiert, finden wir uns wieder von falschen Freunden umgeben, an die wir nie dachten. Wir waren der Überzeugung, es gäbe verbindende Grundkonstanten. Unser bereits seit Jahren wachsendes Unbehagen ist nun in Leiden umgeschlagen. Darüber, wie lange wir übersehen konnten, dass Fragmentierung und Dekonstruktion die Zwillinge von Selbstoptimierung und Egoismus sind. Darüber, wie der Neoliberalismus die Gesellschaft und unser Leben entsolidarisiert hat.
In öffentlichen Debatten wird von uns gefordert, für die Demokratie zu kämpfen, für die sogenannten Werte des Westens gegen Autokraten wie Viktor Orban, Wladimir Putin. Doch es wird mit zweierlei Maß gemessen. Denn was ist das für eine Heuchelei, wenn man aufgefordert wird, gemeinsam mit den USA aufzutreten, mit Giorgia Meloni, mit Friedrich Merz, der soeben noch Israel lobt, weil das Land „für uns die Drecksarbeit“ im Iran erledige. Dass die Trump-Administration die demokratische Verfasstheit der USA beseitigen will, wird noch zur Kenntnis genommen. Er zeigt Europa mit seiner Russlandstrategie die kalte Schulter. Und trotzdem, wenn Trump & Co pfeifen, sollen wir in Europa fünf Prozent Rüstungsbudget gut finden, während der Sozialstaat attackiert wird. Und nicht zuletzt sollen wir uns beim Klimaschutz unter dem Deckmantel der Technologieoffenheit mäßigen.
Der zu Recht positiv besetzte Begriff der Demokratie verbirgt, dass es um eine Verschleierung der Machtverhältnisse geht. Dies zeigt die Argumentation in unseren Leitmedien zur Ukraine und Gaza deutlich. Nehmen wir die Ukraine: Der russische Angriffskrieg bricht das Völkerrecht. Das ist eindeutig und zu verurteilen. Dass aber im Irak, in Libyen, in Bosnien und Gaza internationales Recht gebrochen wurde und wird, ist genauso klar. Es geht darum, auf diese Ungleichbehandlung hinzuweisen, abgeleitet aus hegemonialen Machtinteressen „des Westens“. Ein breiter Blick sollte – neben der Verurteilung der Hamas – auch Gaza, das Westjordanland, den Angriff Israels und der USA auf den Iran umfassen.
Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Der Ukrainekrieg wird ab 2022 erzählt. Doch man könnte die Geschichte auch mit dem Niedergang der Sowjetunion beginnen lassen. Man hätte eine Friedensarchitektur bauen können. Aber die Transatlantiker feierten den Sieg im Kalten Krieg. Und in Europa sind wir den USA gerne gefolgt. Das Ziel war, Russland zurückzudrängen. Die Erweiterungspolitik wurde von der EU unterstützt, indem sie mit der Ukraine verhandelt hat, ohne Russland einzubinden. Diejenigen, die darauf hinwiesen, dass es eine Friedenslösung brauchte, wurden als „Putinschwestern und -brüder“ beschimpft.
war Geschäftsführer der selbstverwalteten Druckerei REMAprint in Wien, danach hatte er Führungspositionen in der Druck- und Medienindustrie in Deutschland inne.
war Universitätsprofessor und Dekan der Fakultät für Informatik an der TU Wien. Er ist Mitinitiator des Manifests für Digitalen Humanismus und Autor von „Digitaler Humanismus“, Picus Verlag, 2025.
Seit Trump die Position der USA geändert hat, bekennen sich auf einmal alle zu Friedensbemühungen – sogar die Ukraine will Gespräche führen. Und was tun die Europäer? Statt ernsthafte Gespräche zu führen, propagieren sie nach wie vor einen „Siegfrieden“ gegen Russland, verlängern das Sterben auf den Schlachtfeldern. Es wird aufgerüstet, vorgeblich im Namen des Friedens. „Kriegstüchtigkeit“ steht auf der Tagesordnung. Die reale Gefahr eines dritten Weltkrieges wird als krude Propaganda abgetan. Friedenspolitik verkommt zur Abschreckungspolitik.
In der Auseinandersetzung mit Russland und China macht sich Europa im schlechtesten Fall zum Vasallen der USA. Trump lässt Europa abblitzen. Wer sich immer unterordnet, wird auch so behandelt. Das als westlich-transatlantisch definierte Europa steht alleine vor einem Scherbenhaufen.
Europa in der geopolitischen Zange
Europa agiert nicht als eigenständiger Akteur, sondern vertritt USA-Interessen. Dass von Trump Zölle verordnet werden, bringt Europa nicht zum Widerstand, sondern zum Kniefall. Dass es anders geht, zeigt der große Widersacher China, der selbstbewusster auftritt und besser aus dem Zollstreit aussteigt. Europa argumentiert, ohne seine wirtschaftliche Stärke als Druckmittel einzusetzen, mit der Notwendigkeit der Unterstützung durch die USA. Es wird auf die militärische Abhängigkeit verwiesen, um die Notwendigkeit der Aufrüstung zu begründen, zur Befreiung aus einer Lage, in die man sich im Konflikt mit Russland selbst gebracht hat. Vorbei die Zeiten einer unabhängigen Außenpolitik eines Bruno Kreisky, ausgerichtet auf internationale Versöhnung anstatt Militarisierung.
Die beschworenen „Selbstheilungskräfte“ des freien Marktes versagen. Es wird kaum reflektiert, dass ein Auslöser der ökonomischen Krise der Wegfall billiger Öl- und Gasimporte aus Russland ist. Die neue Konjunkturlokomotive soll die Rüstungsindustrie sein. Profiteur der Aufrüstung ist die amerikanische Rüstungsindustrie, von der wir uns angeblich unabhängig machen wollen. Aktuell kann man einen neuerlichen Siegeszug des Neoliberalismus beobachten. In Europa werden gravierende Einschnitte im Sozialbereich in Gang gesetzt, um die Kosten der Krise und Aufrüstung zu decken. Ausgeschlossen sind Maßnahmen bei Vermögen- und Erbschaftsteuern für Superreiche. Sozial- und Gesundheitssysteme sollen zurückgeschraubt werden.
Im vorgeblichen Kampf gegen rechts, mit dem Schwert der Brandmauernmetapher, wird suggeriert, wir sind alle gleich hinter der Brandmauer. Die Ursachen der Bewegung nach rechts, das sozio-ökonomisch Substanzielle, soll nicht besprochen werden, um die „rechte Mitte“ nicht zu beunruhigen. Die Vorstellung – vor allem bei den deutschen Grünen – der für den Klimaschutz gewinnbaren und zugleich bürgerlich wertkonservativen Mitte erwies sich als Fiktion. Wer wertkonservativ ist, geht zur CDU. Von dort ist der Weg nicht mehr weit zur AfD.
Machen wir alle, die sich links der Mitte verstehen, so weiter, wird die Rechte gewinnen. Vor allem, wenn auf die Rettung durch die politische Mitte gehofft wird.
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