Linken-Parteitag in Leipzig: Kipping-Vertrauter setzt sich durch
Mit drei Stimmen Vorsprung: Der Anwalt Jörg Schindler hat die Wahl zum Bundesgeschäftsführer der Linken gewonnen.
Als Wunschkandidat der Parteivorsitzenden hat Schindler mit seiner denkbar knappen Wiederwahl den Dämpfer nur wenig abgemildert, den der Vorstand wenige Stunden zuvor hinnehmen musste: Katja Kipping war mit fast zehn Prozentpunkten Stimmenverlust wiedergewählt worden, Riexinger verlor fünf. Der Posten des Bundesgeschäftsführers entspricht dem des Generalsekretärs in anderen Parteien, er leitet die Parteigeschäfte. Die Besetzung des Postens gilt als wichtige Etappe im Machtkampf zwischen Fraktions- und Parteispitze.
Als Gegenkandidat zu Schindler war der ehemalige Bundestagsabgeordnete Frank Tempel aus Thüringen angetreten, er erhielt 47,8 Prozent der Delegiertenstimmen. Er hatte sich erst vier Tage vor dem Leipziger Parteitag überraschend aufstellen lassen und galt als Kandidat der Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Beide, Tempel und Schindler, hatten in ihren Antrittsreden betont, für die Partei und nicht für Personen anzutreten.
Seit Monaten streitet die Fraktions- mit der Parteispitze um die Ausrichtung der Partei in der Flüchtlingspolitik. Schon Schindlers Vorgänger, der sachsen-anhaltinische Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn, war im vergangenen November deshalb zurückgetreten, danach waren die Geschäfte kommissarisch von Harald Wolf übernommen worden. Nun tritt Schindler den Posten an, ohne dass sich der Führungsstreit ansatzweise gelegt hätte.
„Ich bin ein Kandidat des Parteiprogramms“
Schindler ist bundespolitisch ein unbeschriebenes Blatt: Er ist derzeit noch Ortsvorsitzender in Wittenberg, Kreisvorsitzender im Landtag und Vize-Landesparteichef in Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig pendelte er bisher nach Berlin, wo der Anwalt seine Kanzlei hat und eine kostenlose Rechtsberatung betreibt.
„Ich werde mich künftig mit voller Kraft auf die Aufgaben als Bundesgeschäftsführer konzentrieren“, sagte er nach seiner Wahl der taz. Seinen Posten als stellvertretender Parteivorsitzender in Sachsen-Anhalt will er abgeben. Nur die Rechtsberatung in Neukölln möchte er beibehalten, um den Kontakt zu den Wählern nicht zu verlieren.
Frank Tempel
Als Asylexperte dürften sich die Sympathien zwischen ihm und dem Wagenknecht-Lager in Grenzen halten, Schindler gilt als Vertrauter Kippings. „Ich bin ein Kandidat des Parteiprogramms“, betonte er dagegen nach der Wahl auf Nachfrage. Differenzen zu Wagenknecht sieht er nur bei etwa fünf Prozent ihrer Ansichten, das sei nicht mehr Unterschied als zu anderen Parteikollegen: „Bei 95 Prozent stimmen wir überein, der Rest sind ihre Ansichten zur Einwanderungspolitik.“ Begegnet sind sich Schindler und Wagenknecht nur einmal in größerer Runde, sagte er. „Persönlich miteinander gesprochen haben wir noch nicht.“
Viel Applaus für Tempel
Schindlers Gegenkandidat Frank Tempel wollte nicht von einer Kampfkandidatur sprechen, doch trat er explizit als Alternative zum Kipping-Vertrauten Schindler an. „Nach den öffentlichen Duellen der letzten Monate halte ich es nicht für richtig, den geschäftsführenden Vorstand fast ausschließlich mit den ausdrücklichen Wunschkandidaten der Vorsitzenden zu besetzen“, hatte Tempel zuvor auf seiner Facebookseite geschrieben. Er befürchtete, dass dann die Gegensätzlichkeit mit dieser Wahl eher zementiert werden.
Tempel wird dem Lager des Fraktionschefs Dietmar Bartsch zugeordnet. Seine eigene Landeschefin hatte Tempels Kandidatur nicht unterstützt. In seiner Antrittsrede am Samstag erhielt er viel Applaus, weil er sich gegen politisches Schubladendenken und den öffentlichen Streit zwischen Wagenknecht und Kipping aussprach: „Das gegenseitige Verletzen und Diffamieren, das gegenseitige Misstrauen schadet uns.“
Nach der Wahl sagte er der taz, das Knappe Wahlergebnis sei „auch ein Zeichen dafür, dass die Basis die Nase voll hat vom Führungsstreit“. Der Kampf finde ganz vorn in der Partei statt, nicht an der Basis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen