Linken-Klausur in Leipzig: Rot und Rot wollen sich grün sein
Die Linksfraktion zeigt sich bei der Klausurtagung in Leipzig zufrieden, setzt auf Bürgerbeteiligung – und freut sich über die allgemeine Wechselstimmung.
Der größte Freund der Berliner Linksfraktion, die sich am Wochenende zu einer Klausurtagung in Leipzig traf, ist der Koalitionsvertrag. Ihr größter Gegner, so schien es mitunter: die SPD. „Wir kriegen nicht einen Schritt aus dieser Koalitionsvereinbarung geschenkt“, hatte die Linken-Haushälterin Manuela Schmidt in der Generaldebatte zum Auftakt des dreitägigen Treffens gesagt. Und Fraktionschef Udo Wolf versprach, darauf zu drängen, „dass das, was im Koalitionsvertrag steht, auch umgesetzt wird“. Ganz aktuell etwa müsse man sich des Versuch der SPD erwehren, den Bereich Ausbildung der Innenverwaltung zuzuschlagen, statt – wie vereinbart – die Verantwortung für das Landespersonal im Finanzressort zu bündeln.
Die auf vier Stunden angesetzte Aussprache war weniger von inhaltlichen Kontroversen geprägt – die Zufriedenheit über das, was in den laut Wolf „sehr schwierigen“ Verhandlungen mit SPD und Grünen erreicht wurde, ist groß und einhellig – als durch ein ständiges Ringen um die politische Kultur innerhalb der Koalition. Die Abgeordneten haben das Mantra ihres Spitzenkandidaten im Wahlkampf, Klaus Lederer, verinnerlicht: Keine der Parteien dürfe sich auf Kosten der Partner profilieren. Die Linke sieht sich in einer doppelten Wächterfunktion: für die vereinbarten Inhalte einerseits und das gute, kooperative Regieren andererseits.
Dass die SPD von den eingeübten Egoismen ihrer Konfliktbeziehung mit der CDU geprägt ist, lässt die Linke zuweilen hadern. Nicht immer würden die gemeinsamen Regeln eingehalten, stets bestehe die Gefahr, in „Parteiegoismen und Kleingeistigkeit“ zurückzufallen, so Wolf.
Die größte Krise der holprig gestarteten Regierung war für ihn dann auch nicht die Misere um den in Leipzig ebenfalls anwesenden Ex-Staatssekretär und jetzigen Fraktionsberater Andrej Holm. Wolf verwies stattdessen auf die Manöver der SPD, nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz mit sicherheitspolitischen Forderungen in die Offensive zu kommen – unter Missachtung der Koalitionspartner.
Jung und gemischt
Dass die Linke über eingefahrene Muster hinausgehen will, verdeutlichte ihr für die Klausur gewähltes Schwerpunktthema Bürgerbeteiligung. In der 27-köpfigen, zur Hälfte neuen Fraktion, die so jung und so Ost-West-gemischt ist wie nie zuvor, ist man sich einig, dass man Politik nicht so weitermachen könne wie bisher. Der Anspruch: Statt von oben herab möchte man Politik gemeinsam mit der Stadtgesellschaft entwickeln. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher warb für umfangreiche Bürgerbeteiligungen bei Bauvorhaben, Sozialsenatorin Elke Breitenbach für eine Weiterentwicklung des Partizipations- und Integrationsgesetzes – unter anderem mit dem Ziel, den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen.
Hier allerdings hat die Linke selbst noch Nachholbedarf: „Ich sehe nur hier oben einen Hakan“, so der innenpolitische Sprecher Hakan Taş, der ebenfalls auf dem Podium Platz genommen hatte.
Wie die Regierungskoalition funktionieren und dass die SPD auch Freund sein kann, zeigte die Debatte über Kinderarmut. Eingeladen war hierzu SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres, die sich sichtlich wohlfühlte zwischen ihrer Senatskollegin Breitenbach und Carola Bluhm, mit Wolf Fraktionsvorsitzende: „Es tut einfach gut zu wissen, sie bei diesem Thema an meiner Seite zu haben.“
30.000 weitere Kita-Plätze, Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr, Ausbau der Ganztagsschulen, Gründung einer Landeskommission gegen Kinderarmut – die Aufgaben sind definiert und wollen gemeinsam angegangen werden. „Da sehe ich ganz tolle Chancen für Rot-Rot“, entglitt es dem Treptow-Köpenicker Stadtrat Gernot Klemm, ehe ihm einfiel, dass auch die Grünen an der Koalition beteiligt sind.
Nachtragshaushalt, Stadtwerke, das Freiziehen der Flüchtlingsnotquartiere – die Koalition kann gemeinsam ihre Ziele erreichen, auch das wurde immer wieder betont. Anspruch und Hoffnung innerhalb der Partei weisen dabei über Berlin hinaus. Eine erfolgreiche Koalition sei von gesellschaftspolitischer Bedeutung, da gab es keine zwei Meinungen. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sprach mit Blick auf die Bundestagswahl und dem Aufschwung der SPD unter Martin Schulz von einer „Wechselstimmung in der Bundesrepublik wie seit 1998 nicht mehr“. Die Hoffnung auf Rot-Rot-Grün im Bund lebt. Fraktionschef Udo Wolf sekundierte: „Diese Hoffnung wollen wir in Berlin befördern.“
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