Linke-Politiker Neskovic über Geheimdienste: „Die Verfassung hat echte Feinde“
Reform ja, Abschaffung nein: Der Linken-Geheimdienstexperte und frühere Richter Wolfgang Neskovic will einen Verfassungsschutz ohne V-Leute.
taz: Herr Neskovic, war der Rücktritt von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm richtig?
Wolfgang Neskovic: In vergleichbaren Situation haben andere Behördenchefs nicht um ihre Entlassung gebeten, deswegen ehrt es Heinz Fromm, wenn er nun die Verantwortung übernimmt. Doch die Strukturprobleme und Kontrolldefizite im Amt sind damit natürlich nicht beseitigt.
Viele Linke wollen den Verfassungsschutz ganz abschaffen. Sie nicht. Warum nicht?
Wir schaffen ja auch nicht die Feuerwehr ab, wenn sie bei der Brandlöschung versagt. Wir benötigen einen Verfassungsschutz, weil die Verfassung echte Feinde hat. Statt einer Abschaffung brauchen wir eine grundlegende Reform.
Was heißt das konkret?
Viel zu oft entziehen sich die Dienste der Kontrolle mit dem Hinweis auf eine angebliche Geheimhaltungspflichtigkeit von Vorgängen. Aber meine Erfahrung zeigt, dass 80 bis 90 Prozent davon überhaupt nicht geheimhaltungsbedürftig sind.
64, einst Bundesrichter, parteilos. Sitzt seit 2005 für die Linkspartei im Bundestag und im Parlamentarischen Kontrollgremium, das für die Geheimdienstkontrolle zuständig ist.
Noch mal: Welche Reformen bräuchte es?
Der Verfassungsschutz muss eine Behörde wie jede andere werden. Das bedeutet, dass für ihn auch die Kontrollstrukturen gelten müssen, die für jede andere Behörde gelten. Verantwortlichkeiten müssen klar definiert werden, Fehlverhalten muss konsequent sanktioniert werden. Gerade bei Geheimdiensten darf es keine kontrollfreien Zonen geben.
Bisher konnte der Apparat doch auch nicht tun, was er wollte. Sie selbst sitzen im für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Bundestagsgremium …
… aber für eine echte Kontrolle haben wir doch viel zu wenig Zeit und Mitarbeiter. Und dass es die Regierungsfraktionen in der Hand haben, ob und in welchem Umfang überhaupt kontrolliert wird, führt das System vollends ad absurdum.
Alle fordern Transparenz. Es gibt aber auch Dinge, mit denen der Verfassungsschutz schlecht hausieren gehen kann, etwa die Klarnamen von V-Leuten.
Das ist richtig, aber die sind nach meiner Überzeugung ohnehin entbehrlich. Die Vorgänge um den NSU haben das bestätigt. Aus der mit V-Leuten verseuchten rechtsextremen Szene ist nichts zu den Mordfällen nach außen gedrungen. Und selbst wenn einzelne Informationen von Wert sind, bleibt das Grundproblem: V-Leute kommen aus dem Milieu, und sie hören auch nicht auf, Neonazis zu sein, sobald sie dem Staat gegen Geld berichten. Wir finanzieren also mit Steuermitteln rechte Propaganda. Das ist unerträglich.
Wie soll der Geheimdienst denn ohne V-Leute mitbekommen, wenn sich konspirative Terrorzellen bilden?
Der Gabentisch staatlicher Überwachung ist reich gedeckt. Observationen, Onlinedurchsuchungen, Videoüberwachung oder auch der Einsatz von eigenen verdeckten Ermittlern der Sicherheitsbehörden. All das ist rechtlich möglich.
Sie haben mal ein Kurzpraktikum beim Verfassungsschutz gemacht: Wie war das?
Gemischt. Ich habe dort jüngere, sehr engagierte Mitarbeiter kennengelernt, die auch das nötige rechtsstaatliche Verständnis haben, andererseits aber auch noch richtig kalte Krieger.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz braucht jetzt einen neuen Chef. Herr Neskovic, wäre das nicht was für Sie?
Ich frage mich, ob das was für das Bundesamt wäre.
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