Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn: "Keine Koalition mit Olaf Scholz"
Die Parteien im Rathaus suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn im taz-Interview über die Konsenssucht im Rathaus.
taz: Frau Heyenn, die Linke hat im April die Viererspitze im Parteivorstand durch eine Doppelspitze ersetzt. Wird jetzt in den als ineffektiv geltenden Führungsgremien weniger gelabert als zuvor?
Dora Heyenn: Mein Eindruck ist, dass die Arbeit auf Landesebene immer effektiver geworden ist. Die Reduzierung der Sprecherzahl hat dazu beigetragen.
Der bisherige Sprecher Herbert Schulz hatte selbst zugegeben, dass der Vorstand eine „zeitraubende Größe“ habe und „endlich entscheidungsfähig“ werden müsse.
63, Lehrerin, verwitwet, drei Kinder. Von 1971 bis 1999 SPD-Mitglied, 1990 bis 1992 Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein, seit 2005 WASG, ab 2007 Linke, seit 2008 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft (MdHB) und Fraktionschefin.
Ich denke, es ist weniger eine Frage der Größe, sondern von Vorbereitung, Strukturierung und Sitzungsleitung.
Neuer Vorsitzender wurde Bela Rogalla, Referent einer Bürgerschaftsabgeordneten. Gibt es da keinen Interessenkonflikt?
Satzungsmäßig ist das in Ordnung, und einen inhaltlichen Konflikt habe ich auch nicht feststellen können.
Partei soll führen, auch die Fraktion anspornen oder kritisieren, ein Referent ist Assistent einer Abgeordneten. Wie passt das demokratietheoretisch zusammen?
Ich sehe da kein Problem. Schauen Sie sich die Grünen an: Die Vorsitzende ist Bürgerschaftsabgeordnete, ihr Stellvertreter ist Bundestagsabgeordneter – und das bei dem früheren Anspruch der Trennung von Amt und Mandat.
Seit 1. Juli ist Rogalla Büroleiter des Bundestagsabgeordneten Jan van Aken. Ist das eher vertretbar?
Vielleicht sind da Bundes- und Landesebene leichter zu trennen. Aber aus meiner Sicht hätte er nicht wechseln müssen.
In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine neue Konsenssucht?
Nein, und unser Bestreben als Linke wäre das auch nicht. Wir legen Wert auf unsere Glaubwürdigkeit als Opposition. Dem Transparenzgesetz und der Stärkung der direkten Demokratie haben wir zugestimmt; großartig finde ich, dass alle Fraktionen in der Bürgerschaft sich auf die Errichtung eines Deserteursdenkmals verständigt haben. Dafür haben wir uns immer eingesetzt. Wenn Vorschläge in unsere Richtung gehen, versperren wir uns nicht. Das wäre widersinnig. Wir haben als Linke schon in der vorigen Legislaturperiode mit Schwarz-Grün und SPD zusammen die Schulreform mitgetragen – an uns ist die nicht gescheitert.
Also Kooperation nur da, wo sie inhaltlich begründbar ist?
Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Daneben haben wir unsere Alleinstellungsmerkmal vor allem im sozialen Bereich, wo die Linke die einzige Fraktion ist, die immer wieder die Solidarität mit den Schwachen einfordert. Das gilt vor allem für die Prekarisierung im Arbeitsleben, sowohl in der freien Wirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst.
Ist das eine Frage der politischen Hygiene, nicht Fundamentalopposition um jeden Preis zu betreiben?
Mit Fundamentalopposition könnte ich nichts anfangen.
Selbst nicht bei diesem Bürgermeister?
Olaf Scholz ist der Architekt der Agenda 2010 – selbstverständlich ist eine Koalition mit ihm für uns Linke nicht denkbar. Aber eine punktuelle Zusammenarbeit mit der SPD-Fraktion, wenn sie denn mal was richtig macht, geht schon.
Die SPD hat bei normalen Beschlüssen, unterhalb von Verfassungsänderungen, eine eigene Mehrheit. Könnte ihre Kooperationsbereitschaft Lockangebote sein, um die Opposition zu spalten?
Wir beobachten schon mit Interesse, wie die SPD die Kontakte zu anderen Fraktionen pflegt. Die wissen ja auch, dass sie nach der nächsten Wahl ohne absolute Mehrheit einen Partner brauchen. Und da wird dann mal hier, mal dort ein Leckerli angeboten. Auffällig finde ich, dass die SPD vor allem die FDP umgarnt.
Mehr als die Grünen?
Ja, deutlich mehr.
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte vorige Woche im taz-Interview, sie könne sich eine Koalition mit der SPD vorstellen.
Ja, habe ich gelesen. Da sieht man doch, dass die Taktik funktioniert: Wer sich anfüttern lässt, wird eben handzahm.
Es gibt also im Rathaus keine Einheitsliste, sondern den Versuch, Parteiengezänk zu minimieren?
Unterschiedlicher als CDU, Grüne, FDP und Linke kann Opposition kaum sein. Aber eben darum verfährt die SPD nach dem Prinzip: Teile und Herrsche.
Beim Ankauf von Anteilen an der Reederei Hapag-Lloyd hat die Linke als einzige Oppositionsfraktion mit der SPD gestimmt. Finden Sie Verstaatlichung immer noch klasse?
Daseinsvorsorge wie Krankenhäuser, Energie, Nahverkehr gehört in staatliche Verantwortung.
Eine Frachtreederei hat doch nichts mit Daseinsvorsorge zu tun.
Das ist richtig. Bei Hapag-Lloyd haben wir bereits 2008 zusammen mit der SPD den schwarz-grünen Senat beim Einstieg unterstützt. Jetzt ging es darum, die Anteile zu erhöhen. Wir haben intensiv darüber diskutiert, dass es ein riskantes Geschäft sein kann. In der Risikoabwägung haben wir letztlich zugestimmt wegen der Sicherung der Arbeitsplätze bei Hapag-Lloyd und im Hafen insgesamt. Das überwog für uns.
Bei der Verankerung der Schuldenbremse in der Hamburger Verfassung hat die Linke nicht mitgemacht. Warum finden Sie Schulden machen so super?
Gegen die Schuldenbremse zu sein, heißt nicht, für Schulden machen zu sein.
Eine feinsinnige Differenzierung.
Ich will sie nicht überfordern. Aber: Die Bremse wird nicht funktionieren, wenn nicht die Einnahmen erhöht werden. Immer nur die Ausgaben zu drosseln und vor allem im Sozialbereich zu kürzen, ist kein Weg, den die Linke akzeptieren kann. Wir finden, dass die Steuermehreinnahmen nur zur Hälfte für die Tilgung von Schulden verwendet werden sollten, die andere Hälfte für soziale und andere dringend notwendige Projekte.
Aber liefern Sie Hamburg damit nicht faktisch weiter den Banken und Finanzhaien aus?
Wollen Sie es nicht verstehen? Wir müssen die Einnahmen erhöhen. Die beste Schuldenbremse wäre die Millionärssteuer.
Anfang Juni kandidierten Sie für den Bundesvorsitz der Linken. Warum wollten Sie sich das antun?
Es gibt manchmal Dinge, die muss man tun. Das habe ich so empfunden. Ich habe lange gezögert, weil die ich mich lange nicht mit der Vorstellung anfreunden konnte, neben meiner Tätigkeit in der Bürgerschaft auch in Berlin regelmäßig präsent sein zu müssen.
Sind Sie froh, nicht gewonnen zu haben?
Ich habe einfach getan, was ich in der Situation tun musste. Die Partei hatte eine Auswahl, die neue Vorsitzende Katja Kipping hat dadurch eine höhere Legitimation, und ich kann mich wieder auf Hamburg konzentrieren. Ist alles gut gegangen.
Dann wollen Sie also bei der nächsten Bürgerschaftswahl in zweieinhalb Jahren wieder Spitzenkandidatin werden?
Darüber können wir in zwei Jahren reden. Jetzt ist das völlig offen.
Aber die Gefahr ist groß, dass die Linke in Hamburg ohne eine Spitzenkandidatin Dora Heyenn an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde.
Ich denke nicht, dass ich dafür der entscheidende Faktor wäre.
Wir denken das schon.
Mit Personenkult kann ich nichts anfangen.
Was macht Dora Heyenn am 1. März 2015?
Das weiß ich nicht. Meine Oma hätte jetzt gesagt: „Wenn ick dann noch lev ...“
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