Lifestylemagazin "Liebes Land": Zurück zum Glück
Das Magazin "Landlust" verkauft sich wie geschnitten Bauernbrot. Da hatte der Hannes Scholten Verlag eine Idee: "Liebes Land" liegt nun am Kiosk.
Es ist ein seltsamer Anblick - aber einer, an den man sich wohl gewöhnen muss. Ein Kiosk mitten in Berlin. An der Kasse liegen Spiegel, Stern, Vanity Fair - und daneben Landlust und Liebes Land. "Das ist ganz neu", sagt die Verkäuferin. Stimmt. Nach dem unglaublichen Erfolg des Münsteraner Landwirtschaftsverlags mit Landlust (von der letzten Ausgabe wurden 317.085 Exemplare verkauft) ist der Stuttgarter Hannes Scholten Verlag auf den Zug ins Grüne aufgesprungen und hat am Mittwoch die erste Ausgabe von Liebes Land herausgebracht - Untertitel "Die beste Art zu leben".
Liebes Land fällt wie auch Landlust ("Die schönsten Seiten des Landlebens") also am ehesten unter die Kategorie Lifestylemagazin. Während Kiosknachbar Vanity Fair das mondäne Leben der Schönen und Reichen in Penthouses und auf Yachten idealisiert, predigen die Land-Magazine nicht weniger eskapistisch die Rückkehr zur Natur, zum einfachen Leben. "Liebes Land propagiert nicht abgehobenen Lifestyle", schreibt Chefredakteur Hannes Scholten, "sondern Lebensqualität für jeden Tag. Die Grundwerte dieser Lebensform sind Echtheit, Schlichtheit, Natürlichkeit." Und Landlust-Kollegin Ute Frieling-Huchzermeyer schreibt: "Hübsche Hüllen sind uns für Landlust wichtig. Wichtiger aber als die Schale ist uns ein gehaltvoller Kern."
Damit weist Frieling-Huchzermeyer auf einen deutlichen Unterschied zwischen den im Kern ähnlich positionierten Titeln hin: Landlust ist hedonistischer, tischt ein feudales Herbstmenü auf und empfiehlt einen oberbayerischen Schuhmacher, der für schlappe 1.300 Euro Bergschuhe fertigt - von Hand und nach Maß. "Vor allem bei den 30- bis 40-Jährigen spüre er eine wachsende Wertschätzung für das handgemachte Unikat", heißt es in dem Porträt. Liebes Land wirkt dagegen bieder und trutschig. Die sechsköpfige Redaktion setzt auf schwülstige Besinnungsaufsätze ("Wie man Entschleunigung in der Natur findet"), "Großmutters Rezepte - vom Bratapfel bis zum Siedfleisch" und Tipps für den Spatenkauf.
Das Konzept von Landlust wirkt alles in allem zeitgemäßer, passt besser zur aktuellen Loha-Welle, zum Bemühen um ökologisch korrekten Konsum, der aber bitte auch Spaß machen soll. Liebes Land ist die alte Tante, die einen mit der ständigen Bemerkung nervt, dass früher alles besser war.
"Früher war ich überzeugter Stadtbewohner", schreibt ein Leser von Liebes Land (Leserbriefe in der ersten Ausgabe - ausgedacht?), "bis ich vor drei Jahren bemerkte, dass man auf dem Land freier atmen kann. Jetzt wohne ich in einem kleinen Dorf in der Eifel und will nie wieder weg" - eine Bekehrung ganz nach dem Geschmack der Liebes-Land-Redaktion. Doch die Stadtflucht scheint für viele Leser nur ein Wochenend- bzw. Urlaubsvergnügen zu sein. Dafür sprechen die zahlreichen Kleinanzeigen für Ferienwohnungen in beiden Magazinen und Rubriken wie "Landpartie" und diverse Flora- und Faunanachhilfelektionen.
Die Urbanisierung umkehren wird also weder die Redaktion von Landlust noch die von Liebes Land (obwohl Letztere sich redlich müht) - warum auch? Beide Titel tragen schlicht dem verstärkten Bedürfnis ihrer Leser Rechnung, Lebensentwürfe in Frage zu stellen: Will ich zu Fuß ins Kino gehen können oder in den Wald? Brauche ich Remmidemmi zum Glück oder Ruhe?
Jetzt klingt man selbst schon fast, als wäre man Liebes-Land-Autor. Es wird also höchste Zeit, die Magazine beiseitezulegen und der Hektik des Arbeits- und Großstadtlebens wieder die Stirn zu bieten.
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