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Lieder so schön wie die Wehrmacht

■ Eine ganz aktuelle Fernsehprogrammänderung von Fritz Tietz

Eine hügelige Landschaft. Völkische Musik. Titeleinblendung: „Lieder so schön wie die Wehrmacht.“ Ein kleiner Matrose auf einem Jägerhochstand singt: „Kein schöner Land ...“ Der Sound einer Motorsäge erklingt. Kurz darauf kracht der Hochstand zusammen. TV-Ansager Denes Törsz tritt mit laufender Motorsäge ins Bild. Törsz: Aus gegebenem Anlass ändern wir das Programm. Sie sehen jetzt: „10 Jahre her – Als die Mauer fiel.“

Musik. Historische Bilder von der Grenzöffnung. Stinkende Trabbis, lachende Gesichter, glückliche Menschen. Titel fliegt ins Bild: „10 Jahre her ...“ Showgesang: Zehn Jahre her als die Mauer fiel / von Aachen rüber bis rauf nach Kiel ...

Schnitt in das mit Mauerteilen und schwarz-rot-goldenem Stacheldraht dekorierte ARD-Hauptstadt-Studio. Davor der Moderator Deppendorf mit Studiogästen. Deppendorf: Okay, 10 Jahre stimmt. Aber von Aachen rauf nach Kiel? Das ist doch Blödsinn. Die Zonengrenze ging bloß bis kurz hinter Lübeck. Aber gut, „Kiel“ reimt sich natürlich besser auf „fiel“. – Fielkommen übrigens zur Sendung.

Schnitt. Kleiner Matrose(singt): Von Aachen rüber bis nach ... Lübeck

Ein NVA-Soldat tritt hinzu, knallt ihm eine. NVA-Soldat: Lübeck reimt sich doch ums Verrecken nicht. Kiel sollst du singen. Kiel!!!

Schnitt. Denes Törsz auf einer Wiese. Im Hintergrund sieht man, wie der NVAler den kleinen Matrosen zusammenschlägt. Törsz: Genau hier, sehen Sie, hier verlief vor zehn Jahren die Zonengrenze. Hier auf meiner Seite war Deutschland und drüben Kommunismus. Erinnern Sie sich noch, Herr Deppendorf? Deppendorf: Sogar sehr gut, Denes. Die Typen drüben hießen alle Mario, Silvio oder Rico, und für eine echte Levi's ließen sie einen mit ihren kleinen Effdejottlerinnen alles machen, was Spaß macht. Törsz: Sie meinen Sex und solche Sachen? Deppendorf: Nein, ich meine Anfassen mit Geschlechtsverkehr ...

Musik. Denes Törsz verschwindet. Stattdessen erscheint jetzt, irrtümlich, das Bild einer gefesselten nackten Japanerin, dann der Titel: „10 Jahre danach – Wer schafft uns die Zonis wieder vom Hals?“ Schließlich der richtige Titel: „10 Jahre danach – Die wunderbare Wiedervereinigung.“ Deppendorf: Ja, das ist heute unser Thema: die deutsche Wiedervereinigung und wie alles vor 10 Jahren so wundervoll begann. (Wendet sich einem Studiogast zu) Wo haben Sie die Öffnung der Grenze erlebt? Studiogast: In Bochum. Dieses kleine Bistro. Ecke Ruhrschnellweg. Ich hatte als Vorspeise Soup de Mer – der hätten übrigens ein paar Krabben mer, harhar, nicht geschadet – und zum Hauptgang Entenbrust an einem madeiragetunkten Kartoffelbrei. Ich weiß es noch genau, weil: der Kellner hatte seinen Finger drin. Tja, und wie das Leben so spielt. Drei Jahre später haben wir geheiratet. Deppendorf: Sie ihre Frau... Studiogast: Nein, ich den Kellner. Deppendorf: Ach so... (beiseit) möchte nicht wissen, wo der jetzt immer seinen Finger drin hat... Doch zu Ihnen (er wendet sich einem zweiten Studiogast zu. Es ist der NVA-Mann). Wo waren Sie, als sie die Grenze öffneten?

NVA-Mann: An der Grenze, Nähe Königs Wusterhausen. Deppendorf: Und wollten wie Millionen ihrer Landsleute in dieser historischen Nacht zum ersten Mal in ihrem bis dahin beschissenen DDR-Leben in den Westen rübermachen. NVA-Mann: Ich wollte nur eins: verhindern, dass auch nur einer rübermacht in den beschissenen Westen. Ich war nämlich Angehöriger der Grenztruppe, und da hatte man so seine Befehle. Deppendorf: Ach ja, richtig, Deshalb haben wir Sie ja eingeladen. – Äh, was waren das gleich noch für Befehle? NVA-Mann: Der Schießbefehl zum Beispiel. Deppendorf: Der Schießbefehl, der sagenhafte Schießbefehl, der... äh... was noch mal genau befahl? NVA-Mann: Jeden Grenzverletzer notfalls zu erschießen. Deppendorf: Soll das heißen, dass an der Grenze geschossen wurde, mitten in Deutschland, Deutsche auf Deutsche? Haben Sie etwa auch in jener Nacht ...

Deppendorf: Verstehe: Sie und Ihre Kameraden hatten Skrupel, aufIhre Landsleute zu schießen.

NVA-Mann: Nein, wir hatten keine Munition.

Es folgt ein Einspielfilm über die mangelhafte Versorgung in der DDR. Stichwort Planwirtschaft, Schlangestehen, Bückware. O-Ton: „Mal gab's wochenlang Rote Bete, dann nur Gewehrkugeln.“ Man sieht ein Kind in einem Teller voller Gewehrkugeln herumstochern und Grenzsoldaten, die mit Rote Bete nach Flüchtlingen werfen. O-Ton: „Immer wieder verkaufte die Westpropaganda Rote-Bete-Flecken bei Flüchtlingen als blutende Schusswunden.“ – Plötzlich: Schwarzbild. Störungstafel: „Wir bitten um Geduld.“ Karl-Eduard von Schnitzler kommt ins Bild. Karl-Eduard von Schnitzler: Wir haben diese Lügensendung gestoppt und das Programm erneut geändert. Sehen Sie nun in der Reihe „ARD-homosexuell“ einen Beitrag über die Bundesmarine.

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