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»Liebe polnische Gäste ...«

■ Angst vor dem Ausländergesetz auch in der polnischen Gemeinde/ Vortragsreihe über Geschichte der polnischen Immigration

Berlin. Einmal das Telefonbuch oder die Liste des »Who is who in Berlin« aufschlagen — und der Blick fällt auf die Landowskys, Lojewskis oder Sterzcinskys — allesamt Sprößlinge polnischer Vorfahren, die sich irgendwann in Berlin niedergelassen haben. Doch anders als im Ruhrgebiet, wo sich viele ihrer polnischen Herkunft bewußt sind und ihre Traditionen pflegen, ist in Berlin dieser Teil der Stadtgeschichte fast vergessen. Zwar hatte man im Rahmen der Preußen-Ausstellung im Martin- Gropius-Bau den Polen eine ganze Abteilung gewidmet — doch erforscht und dargestellt wurde die Geschichte polnischer Studenten, Künstler und Adliger. Fast unbeachtet sind bis heute die polnischen Migranten, die sich im 19. Jahrhundert auch in den Arbeiterquartieren Kreuzbergs niederließen. Die meisten arbeiteten als unqualifizierte Kräfte auf den Baustellen oder als Dienstmädchen — wie viele ihrer Landsleute auch heute wieder. Über 21.000 PolInnen leben derzeit im Westteil der Stadt — so jedenfalls steht es in der offiziellen Statistik. Auch unter ihnen macht sich zunehmend Angst breit, daß ihnen nun mit dem neuen Ausländergesetz und im Zuge der wiedervereinigten Ausländerfeindlichkeit die Tür gewiesen werden könnte.

Denn nur wenige sind lange genug in der Stadt, um einen sicheren Aufenthaltsstatus in Händen zu halten. Mit dem Eisernen Vorhang war die lange Tradition der polnischen Zuwanderung nach Berlin unterbrochen worden — erst die Verhängung des Kriegsrechts brachte Anfang der achtziger Jahre die ersten Exilanten wieder nach West-Berlin. Begrüßt wurden sie mit offenen Armen und einem zweisprachigen Flugblatt des damaligen Sozialsenators Ulf Fink (CDU): »Liebe polnische Gäste, ob als Gast oder auf Dauer als Mitbürger — Sie sollen sich in unserer Stadt zurechtfinden und wohlfühlen.« Solche Töne gehören heute einer anderen Epoche an. Die herzliche Begrüßung war weniger auf ideologische oder gar humanitäre Motive zurückzuführen. In einem Brief an die Caritas erklärte Fink noch 1987 ganz unverblümt das Interesse an polnischen »Mitbürgern« mit »arbeits- und bevölkerungspolitischen Gründen«.

Folglich wurden Polen, wie andere BürgerInnen aus Ostblockländern, auch nach abgelehntem Asylverfahren nicht abgeschoben — oder erhielten ohne jedes Asylverfahren eine Duldung. Im Vertrauen auf diese liberalen Regelungen wuchs die Zahl der polnischen ZuwanderInnen — zumal die polnische Regierung Anfang 1989 ihren BürgerInnen endlich Reisefreiheit zugestanden hatte. Das »arbeits- und bevölkerungspolitische« Interesse Berlins an polnischen Zuwanderern war jedoch längst verschwunden. Zwar galt bis Anfang 1989 das für Ostblockangehörige liberalere Aufenthaltsrecht. Doch vom Aufenthaltsstempel im Paß läßt sich alleine nicht Leben — und die dringend benötigte Arbeitserlaubnis wird polnischen BerlinerInnen in aller Regel verweigert. Nur rund zehn Prozent der hier gemeldeten PolInnen ist bislang eine Arbeitserlaubnis zugestanden worden. Andere besitzen mittlerweile über zwanzig abgelehnte Anträge. Sie landen in der Grauzone, in der sie sich mit Schwarzarbeit, Prostitution oder Schwarzhandel finanzieren.

Ausländerrechtlich sind Angehörige ehemaliger Ostblockstaaten Flüchtlingen aus anderen Ländern inzwischen gleichgestellt. Auf die Ablehnung des Asylantrags folgt nun auch in ihrem Fall die Aufforderung zur Ausreise — oder die Abschiebung. Für diejenigen PolInnen, die noch im Vertrauen auf die alte Regelung eingereist waren, hatte der rot- grüne Senat auf massiven öffentlichen Druck hin eine Stichtagsregelung verabschiedet, die den Betroffenen zu einer Aufenthaltserlaubnis verhalf. Düster sieht die Zukunft jedoch für diejenigen aus, die mit dem Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes am 1. Januar 1991 weder einen sicheren Aufenthaltsstatus noch eine Arbeitserlaubnis haben. Sie sind wieder von Ausweisung und Abschiebung bedroht. Verbittert sind die Berliner PolInnen auch über die polnische Regierung, von der sie sich im Stich gelassen fühlen. Zwar befaßte sich vor kurzem eine »Expertenkommission« in Warschau mit der Situation ihrer Landsleute in Deutschland und kam zu dem Schluß, daß Warschau sich mehr um die Rechte der »1,5 Millionen Polen mit deutscher Staatsangehörigkeit« kümmern müsse. Gemeint sind jedoch die Aussiedler aus Polen.

Die polnische katholische Kirche fordert sogar, daß alle PolInnen nunmehr in ihre Heimat zurückkehren sollten. Dahinter, so argwöhnen die polnischen BerlinerInnen, steckt nicht die Sehnsucht nach den verlorenen Landsleuten, sondern die Hoffnung auf zahlungskräftige Heimkehrer, die in die Wirtschaft des Landes investieren können. Denn wer es ins Ausland geschafft hat, so glauben nicht nur die Kirchenmänner in Polen, der muß auch reich geworden sein. Hans-Peter Meister/taz

Der Arbeitskreis »Nachbar Polen« der Evangelischen Akademie und der Polnische Sozialrat veranstalten eine Vortragsreihe zur Geschichte und Gegenwart der PolInnen in Berlin. Die Reihe beginnt am Freitag, den 19.10. um 19 Uhr mit einem Vortrag von Prof. Ulrich Herbert: »Billig und willig · Zur Tradition der Beschäftigung von Polen in Deutschland«. Ort: Haus der Kirche, Goethestraße 26-30, Berlin 12.

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