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Liebe deine Nächsten

■ Darstellerische Kraft: Bertrand Bonellos „Quelque Chose D'Organique“ im Panorama

Das gibt es ja auch, daß einem ein Film nicht wie ein Film vorkommt, sondern wie ein geöffnetes Fenster. Da sitzt man dann, schaut in die befremdliche Welt und kommt sich vor wie ein Voyeur. „Quelque Chose D'Organique“ ist auf mehreren Ebenen genau das: etwas Organisches, Gewachsenes, Lebendiges – und sehr Eigenwilliges.

Bertrand Bonello erzählt die Geschichte der Liebe des Ehepaares Paul und Marguerite. Er erzählt sie so, als wäre ihm die Nachvollziehbarkeit der Ereignisse und insbesondere die Motivation der Figuren wenn nicht gleichgültig, so doch verschlossen, als würde sich die Geschichte eben gerade so abspielen, und er wäre mit seiner Kamera nur zufällig anwesend. Paul, ein Immigrant aus Griechenland, und Marguerite, die aus einem Dorf in Frankreich stammt, leben in Montréal. Paul versteckt seinen alten Vater im Keller vor der Einwanderungsbehörde und sorgt für seinen kranken Sohn. Auf Paul lastet die Verantwortung für die Familie, und sie lastet schwer, aber darüber will er nicht sprechen. Währenddessen streift Marguerite durch die Stadt. Sie ist wie das Leben selbst – und wie die Liebe, die sich eine Zeitlang bei zwei Menschen niederläßt, um dann wieder zu verschwinden.

Marguerite verläßt Paul in dem Moment, in dem der die Last der Verantwortung endlich mit ihr teilen will und sie ins Vertrauen zieht. Mit einer zufälligen Bekanntschaft fährt sie in ein Kupferminenstädtchen irgendwo in der kanadischen Pampa. Dort geht sie allein in eine Wirtschaft und wirkt auf die Männer wie ein Fliegenfänger. Was dann folgt, ist außerordentlich drastisch und vielleicht die bitterste Bedeutung, die „etwas Organisches“ hier annehmen kann. Auch fragt sich, ob wir die von der ersten und der zweiten Szene des Films behauptete Zwangsläufigkeit des Endes tatsächlich annehmen wollen.

Den Beobachterstandpunkt gibt Bonello an keiner Stelle auf. Seiner zurückhaltenden und bescheidenen Inszenierungsweise scheint dabei tatsächlich Demut zugrundezuliegen. Die statischen Einstellungen bedrängen die Figuren nicht, allenfalls ruht sich der Blick in ihren Gesichtern aus, läßt ihnen dabei aber ihr Geheimnis. Insbesondere zwischen Marguerite (Romane Bohringer) und Josée Deshaies' Kamera besteht eine Art von magischer Übereinstimmung. Selbstvergessen ineinander versunken lassen sie intensive Momente darstellerischer Kraft entstehen, jenseits von Schauspielerei, die es so schon lange nicht mehr durch ein geöffnetes Fenster zu sehen gab. Alexandra Seitz

Heute, 23.30 Uhr (Filmpalast), 19.2., 17 Uhr (International)

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